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Amateurfilm, du… (Teil 8)

With a Piece of Chalk (Quelle: Youtube/JuBaFilms)

Übergangslos weiter im Text, ich will hier endlich fertig werden: Wir haben uns im letzten Teil den Aachener Breakdance-Kurzfilm With A Piece Of Chalk angesehen, wir sahen, dass er gut war, wir haben entschieden, dass er aber kein Amateurfilm ist. Warum?

Wenn die vorangegangenen sieben Teile etwas gezeigt haben, dann dass die Einordnung eines Films als Amateurfilm zu einem nicht geringen Teil von Faktoren abhängig ist, die mit dem eigentlichen Film nichts zu tun haben. Amateurfilme sind fest verwoben mit der Amateurfilmer-Szene, die Jungs von JuBaFilms, die With A Piece Of Chalk verantworten, kommen aber aus einer völlig anderen Ecke. Damit meine ich nicht einmal die Hip-Hop-Szene (obwohl jeder ihrer Filme Breakdance als zentrales Element beinhaltet), sondern die Szene der Youtuber. JuBaFilms selbst assoziieren sich damit, zum Beispiel mit diesem Video vom VideoDay in Köln – nirgendwo hingegen findet man bei ihnen einen Hinweis auf die Amateurfilmer-Szene.

Vielleicht muss ich also meinen Versuch einer Definition des Amateurfilms entsprechend spezifizieren, bzw. umbauen: Amateurfilm wäre dann grundsätzlich erst einmal das, was dessen Macher als Amateurfilm betrachtet wissen wollen. Wenn ich das, auch bezogen auf die tatsächlichen Produkte präzisieren müsste, dann würde ich sagen, dass es in der Amateurfilmer-Szene um Autodidakten geht, die in prekären Verhältnissen Genrefilme herstellen, deren Adressaten ausschließlich Autodidakten sind, die in prekären Verhältnissen Genrefilme herstellen.

Diese (selbst-) Definition des Amateurfilms ist teilweise verantwortlich für seine kontinuierliche Bedeutungslosigkeit, was vielleicht klarer wird, wenn wir mal Amateurfilmer und Youtuber miteinander vergleichen. Ich sage – das vorweg – auf keinen Fall, dass die eine Szene besser wäre als die andere. Beide sind auf ihre ganz eigene Weise furchtbar, bei beiden gibt es die Tendenz, die eigentlichen Inhalte zugunsten szenetypischer Verhaltensmuster zu vernachlässigen, nur: was den Amateurfilmern das zurückgezogene Gruppenkuscheln ist, ist den Youtubern die Fankultur, ein hohes Maß an Kommunikation zwischen Produzenten und Rezipienten bis hin zum öffentlichen Vorlesen von Fanmail. Und das finde ich interessant, denn anders als bei den Amateurfilmern ist unter den Millionen, wenn nicht Milliarden von Youtube-Usern beileibe nicht jeder Gucker auch ein Filmer – es gibt Leute, die tatsächlich einfach nur Fans sind, Zuschauer, Publikum. Nichtsdestotrotz dürfte die Zahl der Uploader schwindelerregend hoch sein. Youtube hat so viele User, auch produzierende User, dass es, anders als bei den Amateurfilmern, gar nicht ohne weiteres möglich wäre, sich als Teil eines exklusiven Zirkels zu verstehen, nur weil man irgendeinen Quatsch auf den Google-Server geladen hat.

Das Ergebnis dessen ist – nun ja, nicht unbedingt Qualität. Auch von großen Youtube-Sternchen gibt es so unglaublich viel semi-gelungenen, bestenfalls noch mittelguten Mist, dass man nur hoffen kann, dass die Macher zumindest irgendein zweites Standbein haben, auf das sie zurückfallen können, sobald ihre Gesichter nicht mehr frisch sind und ihre vierzehnjährigen Fans sich neue Idole suchen. Was aber bei diesem Gewusel herumkommt, ist ein gewisser Wettbewerb. Wie viele Videos kann ich pro Jahr, Monat, Woche raushauen? Was kann ich an Neuem machen? Was sehe ich bei Anderen, was davon kann ich für mich adaptieren? Was kann ich machen, was noch keiner gemacht hat? Unterm Strich: wie mache ich auf mich aufmerksam?

Ich befinde mich hier auf dünnem Eis, denn der Themenbereich „Online-Videoplattformen und deren Communities“ ist viel zu groß, als dass ich ihm in seiner Komplexität im Rahmen einer solchen Artikelserie wie dieser hier auch nur annähernd gerecht werden könnte. Es fängt schon damit an, dass es natürlich nicht die eine, einzige Youtube-Szene gibt, dass Online-Videos formal etwas anderes sein können als das, was wir Amateurfilm nennen und die Vergleichbarkeit zumindest fraglich ist, dass Amateurfilmer natürlich ebenfalls Videoplattformen nutzen und so weiter. Anhand der bloßen Zahlen festhalten können wir aber, dass der von Amateurfilmern produzierte Operation Dragonborn trotz seiner unbestreitbaren Oberflächenreize, von denen man eigentlich ausgehen sollte, dass eine Menge Leute Gefallen daran finden würden, bis heute magere 1327 mal angesehen wurde, während der von Youtubern gemachte With a Piece of Chalk an der Dreikommaviermillionenmarke kratzt.

Ich male hier mit sehr rosarotem Pinsel zugunsten der Youtuber; ich weiß, dass der Mist überwiegt, wie er immer und überall bei allem überwiegt, aber man muss anerkennen, was Youtube an großartiger Unterhaltung hervorgebracht hat. Ich glaube nicht, dass das durch die bloße Masse der Uploads passiert, bei der jedes gute Video ein Zufallstreffer ist, und jedes gute Video, das dann auch noch ein Publikum erreicht, erst recht ein solcher. Stattdessen gehe ich davon aus, dass sich solche Erfolge in aller Regel zurückführen lassen auf das Bedürfnis von Menschen, als Individuen aufzufallen. Auf einer Massen-Plattform wie Youtube funktionert das auf zwei Weisen: zum einen ist es notwendig, etwas zu erschaffen, was der durchschnittliche Youtube-User nicht schon zigfach gesehen hat und was ihn innerhalb der ersten paar Sekunden bereits dranbleiben lässt – denn eine potentiell unterhaltsamere Alternative ist immer nur einen Klick entfernt. Zum anderen ist der Erfolg eines Videos eine Frage der (Selbst-) Vermarktung. Wie präsentiere ich mich auf eine Weise, die dafür sorgt, dass ich mehr Klicks für ein Video bekomme, mehr Abonnenten für meinen Kanal? Natürlich ist längst nicht jeder Youtuber so berechnend und natürlich ist der virale Erfolg eines Videos schwer zu planen, das ändert aber nichts daran, dass es ein generelles Bewusstsein für und ein generelles Interesse an der Existenz eines Publikums gibt – ein Bewusstsein, das ich bei den Amateurfilmern vermisse, und das dafür gesorgt hat, dass With A Piece Of Chalk  eben nicht nur die circa hundertdreißig Amateurfilmer erreicht hat, die zum Indigo-Filmfest kommen.


Youtube: immer wieder großartige Unterhaltung. Zwei Daumen!

Hab ich dann nicht endlich, was ich wollte? Filmemacher, die als Autodidakten starten und dann als Selfmade-Menschen vom Filmemachen leben? Immerhin gibt es durchaus auch in Deutschland Leute, die ihren Lebensunterhalt einzig von ihren Youtube-Einnahmen bestreiten. Vielleicht muss ich die Filme, die ich sehen will, nicht in der Amateurfilmer-Szene suchen, sondern eben bei Youtube? Schön wär’s, wenn die da wären, aber leider ist das etwas vertrackter.

Weiter im allerallerletzten (versprochen!) Teil.




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