Ein virtueller Vergnügungspark mit Cartoons, Comics, altem Spielzeug, Genrefilmen und Texten über pixelige Videospiele, und über Verrückte.

Amateurfilm, du widersprüchliche Wurst! (Teil 1)

Morgen startet zum neunten Mal das Indigo-Filmfest im Saarland. Ein Wochenende lang werden Amateurfilmer aus ganz Deutschland in netter Atmosphäre ihre neusten Werke präsentieren. Man trifft sich, man tauscht sich aus, es ist alles sehr, sehr nett. Ich war 2009 mal da, als Zombie 09 gezeigt wurde, und hab mich gefreut, ein paar nette Leute, die ich jahrelang nicht gesehen hab, mal wieder zu treffen und ein paar der Nasen persönlich kennenzulernen, die ich nur sonst übers Netz kannte. Alle Filmemacher, die ich dort getroffen habe, waren sehr nette Gestalten und die Veranstalter, darunter mein mehrfacher Mittäter Andreas Eisele (Regie bei Amazon Force: Suburban Jungle, Farben bei Perlen vor die Säue), sowieso.

Nett, nett, nett. Mich packt beim Gedanken daran trotzdem das kalte Grausen. Warum eigentlich?

Das Wo

Das Indigo-Filmfest findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Ich bin damals per Auto hingefahren und war heilfroh, denn der Weg führt über Stock und Stein und durch tiefsten Wald. Hätte mich ein Helikopter dabei gefilmt, man hätte aus dem Material den Vorspann von The Shining nachstellen können. Nur die Harten finden da hin, nur die Härtesten wollen überhaupt in dieses Nirgendwo, das auf bundesdeutschem Boden in puncto Tristesse und Stillstand nur noch von Geisterdörfern in Meck-Pomm überboten wird.

Dies irae, dies illa.

Diese Härtesten sind die Filmemacher selbst. Und in der Regel niemand sonst. Saarbrücken ist bereits nicht unbedingt der Nabel der Welt, aber fucking Bardenbach ist ein tragischer Witz. Jungs, ihr könnt mir nicht erzählen, dass es organisatorisch oder finanziell nicht zu machen ist, für ein Wochenende ein Kino in einer Stadt klarzumachen, die weniger Kühe als Einwohner hat. In Köln oder Berlin gibt es reichlich kleine Filmfestivals und -veranstaltungen in plüschigen Sälen, die mit einer schwarzen Null für die Macher enden. Selbst eine Langweilerstadt wie zum Beispiel Hannover hat einen regelmäßigen Kurzfilmabend in einem Kino mit circa 150 Plätzen, der fast jedes Mal restlos ausverkauft ist.

Für das Indigo bedeutet das Wochenende in einem zugigen Bürgerhaus am Arsch der Welt, dass die Außenwirkung in der Regel gleich Null ist. Und das ist verdammt schade, nicht zuletzt weil…

Das Wie

…das Wo auch das Wie determiniert. Durch das Fehlen von Publikum wird das Filmfestival zum Familienfest. Man kennt sich, man freut sich, man macht Party. Und man verstehe mich nicht falsch: das ist super! Ich gehe nicht davon aus, dass es bei den Oscars anders läuft oder bei irgendeinem anderen Filmfestival, wenn es nicht grade die Michael-Haneke-Filmtage für angewandten Menschenhass sind. Die Macher feiern, das Publikum guckt, und… Moment, da war ja was.

Wer guckt denn eigentlich? Als ich seinerzeit da war, war der Raum mit der Leinwand durchgehend dünn besetzt. Geschätzt zwei Drittel der Anwesenden standen die meiste Zeit draußen und hatte Spaß beim miteinander Abhängen, mich eingeschlossen.

Der Deutsche Herbst.

Deswegen hab ich auch weder Recht noch Ambition, mich darüber zu beschweren; ich möchte aber anmerken, dass das, ich wiederhole mich, eigentlich schade ist. Da ist ein Saal, in dem ein Querschnitt der kreativen Energie eines ganzen Jahres zu sehen ist, und kaum jemand sieht hin. Die Filme, das war damals mein Eindruck, sind derart nebensächlich, dass man sie genauso gut hätte weglassen können – es hätte der Veranstaltung keinen Abbruch getan. Was dann bleibt, ist das kuschelige Zusammengehörigkeitsgefühl, aber wenn es nur darum geht, könnte man sich auch gleich den ganzen Dreh-Stress sparen und stattdessen einen Briefmarkensammeltreff oder eine terroristische Vereinigung ins Leben rufen.

Wenn ich mich denn dann mal hingesetzt und Filme gesehen habe/hätte – was gab’s denn da eigentlich so?

Das Was

Das Indigo hat sich auf die Fahne geschrieben, „seit neun Jahren ein Herz für unabhängige Filme“ zu haben. Was heißt denn das eigentlich? Unabhängig wovon? Von den großen, bösen Filmstudios, die es in Deutschland gar nicht gibt? Von der Filmförderung, die selbst gewiss nicht unproblematisch ist, deren Auftrag es aber in der Theorie dennoch ist, kleine Filme ohne Lobby zu unterstützen? Dann vielleicht ganz allgemein Unabhängigkeit von der Maxime der wirtschaftlichen Verwertbarkeit? Warum stehen dann im Foyer des Festivals kistenweise DVDs mit Amateurfilmen zum Verkauf?

Aber okay, gehen wir mal davon aus, dass ich was übersehe und Amateurfilmer tatsächlich irgendeiner Abhängigkeit die Stirn bieten: was machen die Filmemacher aus ihrer Freiheit? Meinem Eindruck nach überwiegend zweierlei Arten von Nix. Entweder sie parodieren bekannte Genres oder sie äffen Subgenres des Horrorfilms nach, und gerade Letzteres seit Jahrzehnten. In den späten 80ern haben sie Slasher-Filme gedreht, in den 90ern Zombie-Filme, in den nuller Jahren Folterpornos, je nachdem, was grade in den Videotheken gut lief. Es sind dieselben Geschichten, die der Mainstream auch erzählt, nur technisch schlechter, inhaltlich unbeholfen und ohne Lance Henriksen.

Besser als Kino: Der Ort, an dem die Magie geschieht. (Quelle: taekwondo-bardenbach.de)

Die Festival-Macher wissen das alles, und ein Blick auf die Selbstbeschreibung auf der Festival-Homepage zeigt, dass sie es auch genau so wollen. Man sei zwar für Einreichungen aus allen Genres offen, aber „erfahrungsgemäß überwiegen die Filme aus den Bereichen Trash, Horror, Thriller oder allgemein dem Phantastischen Film.“ Das ist nicht weiter verwunderlich für ein Festival dessen Name ein Akronym ist für „Independent International Gore“. „Beim Indigo“ heißt es auf der Homepage weiter, „geht es etwas familiärer von statten“ als bei anderen Festivals – so kann man das Fehlen von Publikum und die oft fehlende Auseinandersetzung mit den gezeigten Filmen (das von mir beobachtete Draußenrumsteh-Phänomen) natürlich auch betrachten. „Das Festival“ schreiben die Macher schließlich, „findet auch nicht in einem großen Multiplex statt, sondern in den eher kleineren Räumlichkeiten eines Bürgerhauses. Hier geht’s nicht um Glamour und Möchtegern-Filmstars, sondern um die Filme.“ Diese Argumentation ist Quatsch. Ein Bürgerhaus ist ein Mehrzwecksaal, während ein Kino einzig und allein auf den Blick des Zuschauers zur Leinwand hin konzipiert ist. Es gibt keinen Ort auf der Welt, an dem es so sehr um die Filme geht wie das Kino. Das trifft insbesondere auf die Multiplexe zu (ob man sie nun mag oder nicht), die in der Regel komplett schmucklos und funktional gestaltete Filmguck-Fabriken sind. Und das passt zu meinem Eindruck: beim Indigo geht es eben genau nicht um die Filme.

Trotzdem ist das Indigo ein Festival, das von seinen Besuchern gut angenommen wird und sich zu einer schönen Tradition entwickelt hat, womit wir wieder am Anfang wären: wo ist eigentlich mein gottverdammtes Problem? Das Indigo ist eine Mini-Veranstaltung, wenn mir die nicht passt, kann ich sie doch einfach ignorieren und gut, oder?

Nö. Ein Filmfestival, bei dem die Filme eigentlich egal sind, ist widersprüchlich, und da das Indigo durchaus beliebt ist, hat dieser Widerspruch offensichtlich nicht so sehr speziell mit diesem Amateurfilmfestival zu tun, sondern ist ein Pars-pro-toto für etwas weitaus Umfassenderes: ich glaube, dass das Indigo die systemischen Ungereimtheiten des Amateurfilms und der Amateurfilmszene spiegelt.

Und das ist, egal, wie klein das Indigo ist, ziemlich interessant. Fortsetzung folgt.




Ein Kommentar

1) Peroy

10. Oktober 2013, 21:49

„Es sind dieselben Geschichten, die der Mainstream auch erzählt, nur technisch schlechter, inhaltlich unbeholfen und ohne Lance Henriksen.“

Ich habe gelacht.

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