Ein virtueller Vergnügungspark mit Cartoons, Comics, altem Spielzeug, Genrefilmen und Texten über pixelige Videospiele, und über Verrückte.

Amateurfilm, du phantasieloses Spielkind! (Teil 6)

Quelle: wearethestrangefilm.com

Bevor wir auf die Zielgerade gehen, folgt hier noch ein kleiner Einschub – Michael Valentin, der Macher des Indigo-Filmfests, ist in einem ausführlichen Facebook-Kommentar auf meine Amateurfilm-Artikelserie eingegangen:

Zum Amateurfilm allgemein: mir fällt auf, dass du einen sehr einseitigen Blick darauf hast. Die Zeiten von Wald- und Wiesensplatter sind schon etwas länger vorbei. Die Horror- und Splattermatschereien sind immer noch die, die am meisten beworben werden oder „Öffentlichkeitsarbeit“ betreiben. Aber warum erwähnst du in deinem Artikel denn nicht mal so etwas wie Proll Out, Lovely Wolf, Zeichen der Schwäche, Absolutio, Alles super! oder Nadja & Lara? Die passen so gar nicht in das Bild, das du von den Filmen hast. […] Die Einstellung, die du zum Amateurfilm hast passt zu dem, was in den 90ern abging und meinetwegen auch noch bis Mitte der 2000er. Aber das ist schon alles etwas erwachsener, anspruchsvoller und professioneller geworden. Nicht zuletzt Dank der technischen Entwicklung, die in den letzten Jahren stattgefunden hat. […] Ich kann nur sagen, dass man die Horrorsachen am meisten öffentlich wahrnimmt. Das liegt wohl auch mit daran, dass die sich am besten vermarkten lassen. Das bedeutet aber nicht, dass es sonst nichts gibt.

Wie gesagt: Ich will ja Unrecht haben, ich will ja, dass es gute deutsche Amateurfilme gibt. Und wenn das technische Niveau und die inhaltliche Vielfalt höher sind als früher: super! Aber warum werden dann die Schmadderfilme besser beworben, warum lassen sie sich besser vermarkten, warum werden sie besser wahrgenommen? Offensichtlich, weil dieser Kram die Szene sehr wohl noch immer dominiert. Andere, gute Filme gibt es bestimmt. Aber dass ich als jemand, der ein unbedingtes Interesse an guten Filmen hat, keinen der genannten kenne, dass ich in keinem Blog, das ich lese, etwas darüber finde und noch nie bei Facebook oder Youtube über wenigstens einen davon gestolpert bin, spricht für meine These, dass der Amateurfilm ein Öffentlichkeits-Problem hat.

Und noch ein Punkt, den du auch vernachlässigst: Du sagst, dass es zu wenig normales Publikum gibt. Aber ist es nicht auch so, dass die Leute, die sich für Amateurfilme interessieren meistens auch selbst drehen? Da sind die Grenzen schon ziemlich verschwommen. Die Macher sind halt zu einem großen Teil auch das Publikum.

Guter Punkt. Es ist es großartig, wenn da persönliche Beziehungen gewachsen sind und daraus neue Kreativität entsteht – aber das ist auch Teil des Problems, das ich beschreibe: die Leute arbeiten zusammen, spielen gegenseitig in den Filmen der anderen mit, und gucken sich hinterher gemeinsam die dabei entstandenen Filme an. Die Szene kreist „zu einem gerüttelten Maß“ (Markus Risser von Badmovies.de) um sich selbst. Auf diese Weise lässt sich ein System stabilisieren, aber es ist umso schwieriger, es weiterzuenwickeln.

So, jetzt aber weiter im Text. Wo waren wir im fünften Teil stehen geblieben?

Ah ja, genau: Ja, verdammt, ja! Der deutsche Amaterufilm braucht Öffentlichkeit, braucht Ambition, braucht Ehrgeiz! Denn Filmemachen ist ein Knochenjob. Ich habe eine ganze Reihe von Kunstformen ausprobiert, ich hab Texte geschrieben, Musik und Hörspiele gemacht, Bilder gemalt, Comics gezeichnet und eben auch Kurzfilme gedreht, und kein anderes Medium macht es einem so schwer, der tristen Realität irgendetwas abzupressen, was mehr ist als die Summe seiner Teile. Für eine Kurzgeschichte muss man sich unter Umständen nicht mal aus seinem Sessel bewegen, für einen Film muss man in der Regel Himmel und Hölle in Bewegung setzen. Wenn man so etwas mit all seiner Leidenschaft durchzieht, wenn man Kunstblut, Schweiß und Tränen investiert, mentale Energie und Geld, Freunde und Familie, wenn man sich mit etwas derart Anstrengendem die Freizeit versaut und es einen trotzdem glücklich macht – warum will man dann keinen Beruf daraus machen? In anderen Teilen der Welt klappt das doch auch. Ich bin möglicherweise erneut unfair und vergleiche Äpfel mit Birnen, aber Leute wie George A. Romero, Sam Raimi, David Lynch, Peter Jackson, Robert Rodriguez, Kevin Smith (man könnte die Liste ewig fortsetzen) haben sich ohne Hilfe von außen mit kleinen Filmen nach oben gekämpft. Wahrscheinlich sind hundert andere auf der Strecke geblieben für jeden, der es geschafft hat, und dass gerade diese Filmemacher große Nummern geworden sind, lag nicht zuletzt daran, dass sie besser waren und, das vermute ich, auch besser sein wollten als hundert andere.

Dass sie damit einen Haufen Geld verdient haben – geschenkt. Dass sie das, was sie lieben, tun können, ohne sich Gedanken darüber machen zu müssen, ob ihr Chef ihnen für den geplanten Drehtermin Urlaub gibt – schon besser. Dass sie ihre Begeisterung für das Medium Film an Millionen Menschen weitergegeben haben, dass sie unsere visuelle Kultur geprägt haben, dass sie mit ihrer Sicht auf die Welt unser Denken beeinflusst haben, dass sie Franchises zum Leben erweckt haben, in deren Fandoms wir Freunde finden, die wir sonst vermutlich nie getroffen hätten – Now you‘re talking. Allerdings muss man das auch wollen. Dank des Internets hätten die deutschen Amateure es heute sogar leichter als ihre großen Vorbilder: die Vertriebswege sind unproblematischer, es gibt Crowdfunding, soziale Netzwerke und eben auch eine gewachsene, seit Jahrzehnten überaus robuste Szene-Struktur.

Aber selbst wenn wir sagen, dass die finanziellen Unsicherheiten zu groß sind, der deutsche Markt zu klein ist und Hollywood unerreichbar: sollte man, wenn man weiß, dass man sowieso auf verlorenem Posten kämpft, nicht zumindest mal außerhalb des vorgegebenen Rahmens denken und all die Gedanken in Bilder umsetzen, die so abseitig sind, dass die etablierten Medien nicht drauf kommen würden? Indie-Regisseur M dot Strange zum Beispiel hat genau das gemacht:

Ein Film mit abgefahrener, aber nachvollziehbarer Handlung, ohne bildungsbürgerliches Heititei, der das, was ich an Erzähltechniken im Animationsfilm kannte, schallend ausgelacht hat, um mir dann zu zeigen, was eigentlich so alles möglich ist. Whoa! Aber so was interessiert natürlich niemanden, wenn man mal vom Sundance-Filmfestival absieht und vom Fantasia-Filmfest, dem wichtigsten Genre-Filmfestival Amerikas, wo M dot Strange damit einen Preis abgeräumt hat. Was die Grundlage dafür gewesen sein dürfte, dass er heute vom Filmemachen lebt. Underground-Kino mit der Leiter nach oben.

Der deutsche Amateurfilmer backt lieber kleinere Brötchen und spielt zum tausendsten Mal für die Kamera seine Lieblingsgeschichten nach: Dawn oft he Dead, Halloween oder Saw. Oder er ahmt Krimis nach. Oder irgendwas anderes, was er im Fernsehen gesehen hat. Oder er spielt – auch das nur mit gelegentlichen Achtungserfolgen – den Klassenclown. Wir haben hierzulande keinen Underground, wir haben phantasielose Kinder. Für diesen deutschen Amateurfilm gibt es keine Kur. Er wurde in eine künstlerische Sackgasse hinein geboren, ist in eine erzählerische und wirtschaftliche Sackgasse gestolpert und gefällt sich im Stillstand.

Das ist wie bei einem Klischee-Langzeitarbeitslosen, der mit zugeschissener Büx hinter seinem Fliesentisch sitzt, während ihm seine Bälger den Tagesvorrat Zigaretten stopfen, und der keine Lust hat, an diesem Zustand etwas zu ändern, weil er nicht den Input von außen hat, der ihn erst mal sehen lassen würde, dass es ein besseres Leben gibt, oder der diesen Input zwar hat, sich aber nicht darum schert, weil ihm der Glaube fehlt, dass sich irgendwas in seinem Leben ändern könnte, und dem es ohnehin an den Kompetenzen mangelt, die notwendig wären, um sich aus dieser Misere zu befreien. Es war immer so und es wird immer so sein, für ihn, für seine Kinder und deren Kinder.

Und das ist okay. Jeder hat ein Recht darauf, so zu leben wie es ihm passt, und weder ich noch irgendwer sonst hat das Recht, irgendjemandem die eigenen Ideale aufzudrängen. Was ich aber sagen kann ist, dass ich das für ein leeres und wenig erstrebenswertes Leben halte.

Der Witz ist: ich bin davon überzeugt, dass die meisten Amateurfilmer das ähnlich sehen. Keiner von denen kann mir erzählen, dass er insgeheim nicht gerne der nächste Romero wäre, der nächste John Carpenter oder James Wan. Mit ihren Pseudo-Studios (Sonderfilm, ich weiß. Ich bin genauso schuldig.) und den Director’s-Cut-DVDs ihrer eigenen Filme tun sie ja bereits so, als würden sie zu den Großen gehören, und ich glaube sogar, dass sie ziemlich erstaunliche Dinge zu Wege brächten – aber dafür bräuchten sie die Ambition, etwas Einzigartiges zu machen, den Ehrgeiz, so gut zu werden, dass ihren Kritikern die Argumente ausgehen und den Willen, endlich aus ihren Löchern herauszukommen und sich ein Publikum zu suchen.

Eigentlich wollte ich nur eine knappe Standortbestimmung des deutschen Amateurfilms in zwei, drei Absätzen schreiben, aber weil es ein Thema ist, das mir seit Jahren unter den Nägeln brannte, ist die dann doch etwas länger geworden. Nicht hinbekommen hätte ich das ohne den Input von Jules, Dirk und Reinhard. Vielen Dank!




3 Kommentare

1) John

21. Oktober 2013, 14:27

Sehr schöne Reihe. Ich selbst finde, das Problem hängt viel mit dem hierzulande gängigen Gedanken des Filmemachens als „Beruf“ (bzw. Business) zusammen. Das ewige „Wer will das sehen?“, „Wer soll das bezahlen?“ etc. wirkt da schon fast wie eine bewusst entmutigende Einstellung. „Natürlich finden wir es toll, wenn Amateure Filme machen – aber wenn das Produzenten nicht förder-würdig finden, wenn soll sich dann dafür interessieren?“ hat mal eine der Medienboard-Leiterinnen kommentiert. Woher soll der deutsche Jackson/Lynch/Refn kommen, wenn Genre immer als „Nische“ relativiert wird und das Wort Amateur sofort unbedarft bedeutet?
Die paar Filmstudenten, denen ich immer über den Weg laufe, erzählen mir zwar immer, dass sie total crazy Sachen neben dem Studium machen („Ich drehe grad voll den krassen Splatterfilm!“ bis zu „Das wird ein surrealer s/w Langfilm mit demunddem und demunddem, und alles ohne Geld und Onkel Erwin produziert!“) – das alles aber immer „for fun“. Weil, das was sie dann irgendwann machen wollen, muss – natürlich – „in die Kinos kommen“ – Business und so.
Daneben gibt es immer die Ambitionierten Ausreißer – sowas zum Beispiel, für 85.000€ Budget. „Wir wollen einen Film drehen, der ähnlich wie damals „DONNIE DARKO“ oder „LOLA RENNT“, eine ganze Generation widerspiegelt.“ – http://ooo-films.com/page4/page4.html
Ob das aber noch „Amateurfilm“ ist, ist dann auch wieder diskutabel.

2) Lukas

21. Oktober 2013, 16:02

Guter Hinweis: in der Tat sind Amateur- und Genrefilm hierzulande so gut wie deckungsgleich, weil wir seit dem Oberhausener Manifest kein professionelles Genrekino mehr haben und dieser Job deswegen an den Fans hängen bleibt. Vielleicht sollte man also hinsichtlich der Benennung umdenken und nicht mehr von Amateurfilmern, sondern von Genrefilmern sprechen. „Ich bin Genrefilmer“ hat eindeutig einen satteren Klang als das ewig kleinmütige „Ich dreh Amateurfilme.“

Wirtschaftliche Überlegungen sind gut und wichtig – „Wer soll das bezahlen?“ ist eine sehr wesentliche Frage, wenn man so eine Produktion professionell aufziehen will, „Wer will das sehen?“ ist eine, die man zumindest mal im Hinterkopf haben kann. Nicht, dass man sich damit die künstlerische Integrität korrumpieren sollte, aber wenn ich zwei Projekte in den Startlöchern hätte, die mir beide am Herzen liegen, wäre ich schön blöd, wenn ich mich nicht für das entscheiden würde, von dem ich glaube, dass es mehr Leute interessiert.

Dass die Filmförderung oft genug die Falschen erreicht – ja, das ist leider so, wobei allerdings zwei Projekte unter meiner Beteiligung gefördert wurden (ob die Kohle damit nicht eventuell ebenfalls bei den Falschen gelandet ist, sollen bitte Andere beurteilen).

Was „Der Nachtmahr“ angeht: korrekt, wo zieht man die Grenze zwischen Amateurfilm und „richtigem“ Film? Was unterscheidet eigentlich einen Genrefilm für ein paar hundert Euro von einem für ein paar Millionen (wenn man mal offensichtliche Sachen wie aufwendige Effekte und bekannte Gesichter außen vor lässt)? Ich glaube, dass kein Zuschauer diese Unterscheidung machen würde – der will nur unterhalten werden, von wem ist ihm egal. Das Amateur-Label, zumindest habe ich diesen Eindruck, drücken sich Amateurfilmer ohne Not selbst auf.

3) Udo

28. Oktober 2013, 01:06

Hervorragende Artikelreihe. Bleibt noch zu erwähnen, dass manche Leute aus der Szene eher unrund reagieren, wenn sie mal mit Kritik konfrontiert werden. Siehe z. B. mein Interview mit Oliver Krekel und die anschließende Schlacht in der Kommentarsektion: http://trugbilder.blogspot.co.at/2013/08/interview-mit-oliver-krekel.html

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