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Superchristen (Teil 7): Fleisch, Kinder und Hüte

WürgeengelPreview

Wir erinnern uns: Wolfgang R. aus dem eigentlich durchaus lebenslustigen Rheinland ist nicht einverstanden mit der Sexualmoral des Mainstreams und verteilt deswegen in der Kölner Innenstadt Anleitungen für ein sündenfreies Leben, in denen es unter anderem um tödliche Keime, Weltraumfahrzeuge und den Bahnverkehr geht.

Nun bin ich trotz Herrn R.s eher asketischen Konzepts eines (von JESUS) erfüllten Lebens selbstverständlich immer noch interessiert am himmlischen Jenseits, habe jedoch blöderweise gerade weder Christenrakete noch Fleischeslustlokomotive zur Hand – was mache ich also?

Wie jetzt? Das war’s schon? Der ganze seitenlange Sermon, damit möglichst die ganze Welt diese drei Zeilen aufsagt und gut? Ach, Quatsch:

Ein echt bekehrter Mensch hat seinen göttlichen Bonus also bereits nach wenigen Minuten verdaut, ähnlich wie bei einer Parkuhr. Das lässt sich empirisch feststellen: Wenn ich jemanden frage, ob er echt bekehrt wurde, wird er vermutlich zunächst antworten mit „Ja, ja“, schon allein um ein theologisches Gespräch zu vermeiden. Wenn ich ihn im Abstand jeweils einer Minute frage, dann lauten seine Antworten (in dieser Reihenfolge):

1) „Entschuldigung, aber ich will jetzt nicht mit Ihnen reden.“

2) „Hören Sie gefälligst auf, mir nachzulaufen!“

3) „Entweder, du lässt jetzt sofort meine Jacke los, oder ich stopf dir deine Flugblätter in alle Gesichtsporen!“

Wer sich zu einer solchen Ausdrucksweise hinreißen lässt, kann gar nicht echt bekehrt sein.

Was aber, wenn man sich mal ein paar Stunden lang beim besten Willen nicht selbst bekehren kann? Was passiert zum Beispiel im Schlaf? Muss ein echt Bekehrter nach dem Aufwachen erst mal ein paar Gebete am Stück nachholen, um wieder in den grünen Bereich zu kommen? Was, wenn jemand im Schlaf stirbt? War dann das ganze sündenfreie Dasein umsonst? Fragen, auf die Herr R. leider keine Antwort liefert. Stattdessen gibt es Erklärungen zu einem christlichen Lieblingsthema:

Schon die Straßenmission hatte größtes Interesse daran, dem geneigten Leser das Prinzip der Dreifaltigkeit mithilfe eines Beispiels aus der Physik nahe zu bringen, und Herr R. schafft es sogar, ein noch erstaunlicheres Sinnbild zu finden:

Nein.

Trinität

Die Trinität nach Wolfgang R.: Versuch einer Annäherung (Bild-Vorlage: e.o.plauen).

Ich bin kein Physiker, aber wie die Sonne tatsächlich funktioniert kann man nachlesen, zum Beispiel hier, hier oder hier. Wenn wir Herrn R.s Gleichnis ernst nehmen wollen, dann bedeutet das, dass der Vater zum überwiegenden Teil aus Wasserstoff besteht, von dem er in einer Fusionsreaktion pro Sekunde 564 Millionen Tonnen in Sohn-Energie umsetzt. Mit der Dreieinigkeit haut es da allerdings schon nicht mehr so ganz hin, weil diese Sohn-Energie die Erde erst acht Minuten später erreicht (wo sie in eine schöne Portion Heiliger Geist umgewandelt werden soll). Dreißig Prozent Sohn aber werden sowieso durch die Erdatmosphäre zurück ins Weltall reflektiert (was zumindest ganz praktisch ist, falls die Kirche irgendwann mal außerirdische Wesen missionieren will), und auch von dem, was da an Sohn ankommt, sehen die Menschen ohnehin nur einen Teil – der Rest ist zu ultraviolett oder infrarot. Zusammengefasst: der Sohn ist notorisch verspätet, gibt nur siebzig Prozent und ist nicht wirklich sichtbar für den Endverbraucher. Ein Mitarbeiter, den man auch als Vater am liebsten rauswerfen wollte, oder den man zumindest nicht vor der Kreuzigung retten würde, obwohl man es als Gottheit problemlos könnte, womit auch direkt mal ein dickes Plothole in der Bibel erklärt wäre.

Ra

Der einzig wahre Sonnengott.

Quasi apokryphisch hinzufügen könnte man noch, dass der entstehende Heilige Geist abhängig ist von der Dauer der Bestrahlung der Erde mit Sohn-Energie, dem Höhenwinkel des Vaters, dem Rückstrahlvermögen der bestrahlten Christen, sowie vom Grad der Bewölkung, der Luftfeuchtigkeit und Luftbewegungen in der Atmosphäre, was zum Beispiel dazu führt, dass der Heilige Geist ausgerechnet zum Weihnachtsfest ziemlich unterrepräsentiert ist.

Herr R., ist das so ungefähr das, was sie sagen wollten?

Liebe Christen – nicht nur Herr R., sondern auch die Straßenmission und der Rest der missionierenden Bagage: Warum ist es so immens wichtig, die Gläubigen in Spe mit etwas zu behelligen, das offensichtlich so komplex oder so unlogisch ist, dass ihr selbst es nicht erklären könnt, ohne euch dabei auf die Fresse zu legen?

Ich könnte es hierbei belassen, aber Wolfgang R.muss ja kurz vor Schluss seiner Hauptinfo noch mal auf seine Homepage verweisen, die ich schon fast wieder vergessen hatte:

Ja, verdammt! Fragen hätte ich eine Menge, Fleisch, Kinder und Hüte gehören seit je her zu meinen wesentlichen Interessensgebieten und ein schickes Plakat ist sowieso die Zierde eines jeden Gästeklos. Nix wie hin.

[Anmerkung: Herr R. baut seine Seite einigermaßen regelmäßig um, weswegen ein Teil der Texte, die ich weiter unten zitiere, in dieser Form leider nicht mehr online ist.]

Die angekündigten Ergänzungen beinhalten noch einmal reichlich Lesestoff, unter anderem eine über tausend Wörter umfassende Abhandlung darüber, warum Frauen beim Beten Kopfbedeckungen tragen sollen, Männer aber nicht. Dabei schweift Herr R. durchaus ein wenig weiter aus:

GOTT erlaubte es dem Verderber oder Würgeengel nicht, in ein Haus einzutreten, wenn Blut an seinen Pfosten gestrichen war. Natürlich hatte das Blut in seiner chemischen Zusammensetzung nicht die Macht gehabt, den Würgeengel fern zu halten. Aber die Macht, die GOTT diesem Blut-Zeichen gab, war es, die den Würgeengel fern hielt.

WürgeengelIch habe zwar keine rechte Erklärung dafür, finde aber die Idee eines Engels, dessen einziger Job es ist, Menschen mit bloßen Händen zu erdrosseln, irgendwie sympathisch.

Das (ähnlich lange) Kapitel zum „Ein-Fleisch-Prinzip“ klärt zwar jedes denkbare Szenario für Beginn und Ende einer Ehe, bietet daneben aber bisweilen ebenfalls Seltsames bis Besorgniserregendes:

Ein böser Mann kann sündhaft einer unschuldigen Frau die Augen ausstechen. Auch dann darf die unschuldige Frau keinem anderen Mann die Augen ausstechen. Wie schön, wenn sie ähnlich wie Hiob 1,21 sagt: „Der HERR gab mir das Augenlicht und nahm es mir, der Name JESUS sei gepriesen!“ Zumal denen, die GOTT lieben, alle Dinge [auch ausgestochene Augen] zum Besten dienen müssen (Römer 8,28)!

Ich bin mir nicht ganz sicher, was genau Herr R. hier von mir will, werde mich ihm sicherheitshalber aber niemals nähern, wenn er spitze Gegenstände mit sich herumträgt.

Das „Ein-Hut-Prinzip“

Das Ergänzungskapitel zur Kinderzeugung schließlich weist Herrn R. als echten Untenrum-Experten aus:

Mancher Mann, der kein Kind zeugen will, will möglichst viel Sex ohne Samenerguss genießen. Und manchmal klappt das auch! Aber das klappt nicht immer. Wie viel ungewollte Kinder wurden schon und werden immer noch gezeugt nur wegen dem Sex-Genuss!

Denn bedauerlicherweise hat die Menschheit nie eine andere Verhütungsmethode entwickelt als den Coitus Interruptus. Natürlich hat man immer noch die Alternative, es mit dem Heiland höchstselbst zu treiben:

Hat jedoch ein Sex-süchtiger Bruder oder eine Sex-süchtige Schwester keinen Ehepartner, der die Sucht zu befriedigen bereit ist, dann darf der Bruder oder die Schwester im Geist als eine Ehefrau CHRISTI sich von CHRISTUS befriedigen lassen (Jes.54,5 & 62,5 Hes.16,8 Eph.5,31f).

Sex-Sucht klingt natürlich übel, aber: wo hört der normale Sexualtrieb auf, wo fängt die Sucht an?

Um es dir klar zu sagen: Wenn du es ohne Samenerguss kein Jahr aushältst, dann bist du ein Sex-süchtiger Mann!

Herr R. weiß halt Bescheid. Will man wissen, wie er die Erfahrungen gesammelt hat, die ihn zu diesen tiefen Einsichten geführt haben, so hilft ein Blick ins Impressum seines Ratgeber-Heftchens:

Ich habe den Eindruck, wir nähern uns auf den letzten Zeilen langsam dem Kern des Problems. Natürlich lässt sich leicht dahersagen, dass Sex eh nicht glücklich macht – wenn man nie welchen hatte. Kann ja sein, dass man als Teenager in der Hinsicht nichts auf die Reihe bekommt – aber dann holt man das halt als Erwachsener nach. Oder aber man hievt seine verkorkste Jugend auf einen Sockel und strickt sich eine Lebensphilosophie drum herum. Das geht natürlich auch. Hauptsache, man selbst ist damit glücklich.

In Lukas 14,26 lehrte mein HERR JESUS, dass SEINE Jünger nur solche Menschen sein können, die ihr Leben (inklusive ihr eigenes Sex-süchtiges Fleisch) hassen.

Oh.

PS: Wegen der Poster habe ich Herrn R. angeschrieben. Ihr könnt ja alle mal in die Sonne gucken, das Bekehr-Gebet auf- und eurer Sex-Sucht entsagen; falls ich dann in den nächsten Wochen einen Umschlag mit JESUS-Merchandise bekommen sollte, lag es nur daran.



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