Ein virtueller Vergnügungspark mit Cartoons, Comics, altem Spielzeug, Genrefilmen und Texten über pixelige Videospiele, und über Verrückte.

Superchristen (Teil 2)

Wir waren am Ende des ersten Teils stehen geblieben bei der Straßenmission und ihrem rappelvollen Rettungspaket für unsere sündigen Seelen:

Tipp für die nächste Auflage: hier wäre noch Platz gewesen.

Da hat der Christengrafiker alles auspacken dürfen, was die Clip-Art-CD von 1996 hergegeben hat. Ich habe keine Ahnung, warum das so ist, aber Superchristen haben offenbar eine Vorliebe für solches Chaos, und angesichts dieses Kuddelmuddels beschränke ich mich einmal mehr auf eine ebenso unsortierte Auswahl, sonst sitze ich morgen noch hier:

Nein. Da steht’s richtig. Für jeden einsehbar. Muss man nur anklicken. Ist nicht schwer. Wie also kommt man trotzdem auf die eigenwillige Idee, dieses Friedenszeichen hätte was mit dem Teufel zu tun?

Dieses Fantasyspielpüppchen habe ich als 15jähriger bemalt. Bald darauf entschied ich mich für Satan und opferte auf einem nahegelegenen Friedhof kleine Katzen. Glückliche Jugendtage.

Nehmen wir mal unsere Omma mit dem „Jesus rettet“-Schild. Die macht sich nach einem harten, entbehrungsreichen Tag voller Rettungen auf den Heimweg und sieht im Bus einen Halbwüchsigen, der ein Slipknot-Shirt trägt, oder einen Stapel Herr-der-Ringe-Fantasyspielpüppchen dabei hat, oder einem Kumpan bildreich von jüngst heruntergeladenen audio-visuell-pornografischen Medien berichtet (Vergl. Sünden-Checkliste, Teil 1). Ein klarer Verstoß gegen Gottes Gebote! Weil der liebe Gott ja im Mittelpunkt allen Seins zu stehen hat, ist sonnenklar, dass dieser jugendliche Rabauke das nur tut, um IHN zu lästern. Und was sehen die runzligen Omma-Augen als nächstes? Der Delinquent hat ein aufgenähtes Peace-Zeichen auf dem Rucksack! In diesem Kontext kann das doch gar nichts anderes sein, als ein hinterhältig dezentes Satans-Symbol!

Wer sich nicht vor lauter Bibelstudium den Kopf rektal eingeführt hat, könnte eventuell darauf kommen, dass besagter Halbwüchsige was Besseres zu tun hat, als im richtigen Moment einen Harry Potter – Roman zu zücken, um vor den Augen einer entsetzen Gläubigen geil abzusündigen. Wenn er das tut, dann vielmehr aus Interesse an Harry Potter (oder eben an Brüll-Metal, Nerd-Spielkram und nackten Weibern) und weniger aus provokativer Teufelsanbeterei heraus, weil er für den kruden Glauben einer ihm nicht näher bekannten, paranoiden Omma nämlich ähnlich viel Interesse aufbringt, wie diese für die reale Welt.

Genau. Wenn du beim BVB spielst, schieß keine Tore für Schalke (und umgekehrt). Das ist für sich genommen eine sinnvolle Regel, die aber Fußballdesinteressierten ziemlich egal sein kann, weil sie nichts darüber sagt, warum man denn nun dem einen Verein anstatt dem anderen beitreten sollte. Man hätte ja mal versuchen können, sich gegenüber dem düsteren Gottkaiser der Parapsychologie als moralisch überlegen darzustellen, aber dann hätte das sinnvolle „Warnung! Warnung!“ nicht mehr ins Kästchen gepasst. Ein einzelnes „Warnung!“ hätte ich vielleicht noch ignoriert, aber bei zweien weiß auch ich, dass es was Ernstes sein muss.

Die einzigen Punkte auf der Liste, die aus dem Rahmen fallen, sind Yoga und Hypnose, Disziplinen, die an sich erst mal nichts mit Glaubensfragen zu tun haben. Die Hypnose hat ihren Platz auf der schwarzen Liste der schwarzen Magie eventuell der verbreiteten Ansicht zu verdanken, man könne damit in frühere Leben zurückgeführt werden. Beispielsweise war mein Oberstufen-Englischlehrer seinerzeit der gänzlich unironischen Überzeugung, in einer vorangegangenen Inkarnation ein Burgfräulein gewesen zu sein – und Wiedergeburt und Christentum gehen natürlich gar nicht zusammen.

Yoga andererseits ist in seiner westlichen Ausprägung zunächst mal einfach nur eine unverdächtige Leibesertüchtigung, nichtsdestotrotz offensichtlich eine brisante, denn das ist schon das zweite Mal, dass die sympathische Gelenkknotensportart im Straßenmissions-Briefing erwähnt wird. Ich habe eine ganze Weile Yoga gemacht, und mein einziges übernatürliches Erlebnis war es, im Stehen mit der Stirn meine durchgedrückten Knie zu berühren. Andererseits: In einem Bibelkreis hätte ich das nie geschafft. Da muss also wirklich der Teufel im Spiel gewesen sein.

Fakt: Schalker argumentieren stichhaltiger für ihre Sache als die Straßenmission.

Das Prinzip der Trinität im christlichen Glauben ist mir zwar bewusst, nur ging ich bislang davon aus, dass man auf der „Handlungsebene“ durchaus unterscheidet zwischen Gott und Gottessohn. Ansonsten wird es geradezu schizophren: Man stelle sich eine Gestalt vor, die ebenfalls zumindest ein gewisses Maß an Omnipotenz in der Hose hat, den Diktator einer fiktiven, mittelamerikanischen Bananenrepublik z.B.. Nennen wir ihn General Alcazar.

Untenrum bereits nackt (nicht im Bild): General Alcazar (Bild: © Hergé).

General Alcazar ist in seinen paar Quadratilometern Dschungelstaat Legislative, Judikative und Exekutive in einer Person. Also quasi Gott. Und Gottes Sohn. Gleichzeitig. Aus einer Laune heraus beschließt der General eines Tages, dass das Einatmen von Sauerstoff ein moralisch verwerfliches Kapitaldelikt sei. Schnell haben seine Obristen das ganze Volk zusammengetrieben, und gerade hat man eine Wand gefunden, die lang genug ist, um die ganzen verlotterten Sauerstoffjunkies davor in einem Rutsch abzuknallen, als es zu einer bizarren Szene kommt: General Alcazar tritt nackt und mit verklärtem Blick unter die Untertanen, die er just zum Tode verurteilt hat, lächelt, und erklärt, dass er es sich anders überlegt hätte, und dass sie alle gehen könnten, weil er bereit wäre, ihre Sünden auf sich zu nehmen. Während die Obristen den Begnadigten noch die Fesseln lösen, fällt der General auf die Knie und beginnt damit, sich selbst mit einer Neunschwänzigen Katze zu geisseln. Die ersten Freigelassenen rennen los und verschwinden im nahe gelegenen Urwald, für den Fall, dass Alcazar es sich abermals anders überlegen sollte. Andere bleiben stehen, aber trauen sich nicht so wirklich einzugreifen. Sie reiben sich die entfesselten Handgelenke und sehen dem sich verzückt Geisselnden noch eine Weile etwas ratlos zu. Dann wenden auch sie sich ab, nehmen sich aber vor, ihm zu Ehren in Zukunft ein schlechtes Gewissen beim Einatmen zu haben.

Gasförmig: der heilige Geist.

Ah! Nach all dem metaphysischen Bohei endlich ein bisschen handfeste Naturwissenschaft. Grundsätzlich muss man vielleicht erst mal fragen, warum dieses erklärende Diagramm samt Wasservergleich als notwendig erachtet wurde. Wahrscheinlich springen um die Zentrale der Straßenmission regelmäßig aufsässige Streber herum, die den Gläubigen zurufen „Tjahaaa, so wie ihr euch das vorstellt, haut das mit der Dreifaltigkeit nicht hin, denn Eins ungleich Drei und Drei ungleich Eins! Maaa-the-ma-tiiihik, naaa-nana-naaa-na!“ Ob sich die Straßenmissionare aber einen Gefallen tun, indem sie das Schulbuch der Pandora aufschlagen? Wahrscheinlich diskutieren die in ihren Bibelstuhlkreisen nun nächtelang hin und her, aus was für Atomkernen Gott besteht, welche Halbwertzeit der sterbliche Leib Jesu Christi hat (und ob bei seinem Zerfall anstelle von Gammastrahlung vielleicht Alpha-und-Omega-Strahlung freigesetzt wird) und natürlich, welche Hypostase der Trinität nun welchem Aggregatszustand entspricht. Der Heilige Geist, das liegt bei Gespenstern zumindest nahe, ist selbstverständlich gasförmig, aber ist Jesus nun fest oder flüssig? „Flüssig“, so denkt sich dann der neuzeitliche Scholastiker, „geht eigentlich nicht, denn dann hätte er sich ja, als er damals übers Wasser gelaufen ist, im See Genezareth verteilt. Wobei, wenn er fest gewesen wäre, wäre er einfach gesunken. Wie konnte der denn überhaupt übers Wasser laufen? Ob sich das wirklich wortwörtlich so zugetragen hat, wie’s da steht…?“

Straßenmission! Es kann doch nicht in eurem Sinne sein, eure Gläubigen zu solchen Gedanken zu verführen! Auf der sicheren Seite seid ihr nur, wenn ihr von jeder Teufelswissenschaft die Finger lasst, euch in Höhlen zurückzieht, in Tierhäute kleidet und eure Pamphlete in Zukunft mit Walrosszähnen ins ewige Eis kratzt. Ich bin mir sicher, wir finden hier genug Spender, die euch das Einwegticket zum Nordpol zahlen.

Oh…

Oh, oh, oh…

Äh… Straßenmission?

Wir ignorieren jetzt mal den Umstand, dass die meisten Menschen der Meinung sein dürften, dass wahres Lebensglück erst mit vorehelichem Geschlechtsverkehr beginnt. Oder dass ihr offensichtlich sauer seid, dass es Leute gibt, die etwas haben, für das ihr erst einen Priester bemühen müsst – so oder so. Oder dass (falls man sich nicht zufällig auf der selben Surrealitätssebene wie ihr befindet) jeder einzelne Satz dieses Textkastens grenzwahnsinniger Schwachfug ist. Was man aber nicht so einfach unter den Altar kehren kann, das ist euer Marketingproblem. Hört mal, ihr macht da grade Reklame für euren Laden, indem ihr etwaige Interessenten darauf hinweist, dass sie sich entscheiden müssen zwischen einerseits täglicher Bibellektüre, ständigen Schuldgefühlen, einem spätestens seit der Frühmoderne überholten Wissenschaftskonzept und Angst vor Satanisten im Bus und andererseits einem Leben voller sexueller Ausschweifungen. Ihr wundert euch nicht, dass ihr keine jungen, attraktiven Strahlemänner zum Flyerverteilen habt, sondern nur ein paar verhuschte, langsam in Richtung Lebensabend trudelnde Gestalten, oder?

Die Vakanz von Strahlemänner betone ich deswegen, weil mir an bewusstem Tag in Essen, just als ich das Mütterchen mit seinem Rettungsschild hinter mir ließ, auf der anderen Straßenseite der nächste Zettel überreicht wurde, von jemandem, der geschätztermaßen jünger war als ich – Fortsetzung folgt.

Autobahnmission (Fotografiert am 18.07.2010, als die A40 für einen Tag für Radfahrer und Christen freigegeben war).




6 Kommentare

1) manhunter

15. November 2010, 21:36

Dass Slipknot-Shirts-Trager Satanisten sind, ist ja wohl unbestritten.
Davon abgesehen: Bei der Erklärung der „Drei-Einheit“ mit dem Wasserbeispiel hab ich eine Lachpause einlegen müssen. Fantastisch! Und am Autobahnchristen gefällt mir, dass man ihn quasi anfahren muss, um zu lesen, was Jesus gesagt hat.

2) bea

8. Dezember 2011, 08:57

hi,
ich bin auch christ. ich find es so schade, dass diese art von christen vielen menschen ein total falsches und schreckliches bild zeigen von dem, was wir eigentlich glauben, das tut mir echt leid. die flyer kenn ich auch und so leute auch, dabei geht es in der bibel um die FREIHEIT die wir durch jesus bekommen können, und eben nicht durch 1000000 einschränkungen und regeln…
der bericht is ganz gut und ich würde gerne, dass viele christen mal sehen, was sie damit anstellen, und wie darüber gedacht wird…. =)
Eigentlich ist die botschaft von uns christen sehr simpel. Wir glauben an Gott und können mit ihm zusammen leben, von jetzt an bis in die Ewigkeit. Gott ist immer bei uns und wird uns nie verlassen, er gibt uns trost und halt im Leben, aber er befreit uns auch von unseren Lasten, von unserer Schuld.
Und wer will, darf das auch haben. Und das sollte mission sein.
Das muss man nicht mit flyern machen. Also das sollte man auch nicht mit SOLCHEN schrecklichen flyern tun. gegen sowas bin ich auch…
also liebe grüße!
hoffentlich triffst du auch mal etwas normalere christen…
die bea

3) Gregor

8. Dezember 2011, 20:46

Und wer das nicht will, kann zur Hölle fahren!

4) Errror42

8. Mai 2014, 00:47

Freiheit durch Jesus?
Freiheit hab ich auch so, dafür brauche ich keinen Schizo

5) klauswerner

13. Juni 2014, 13:12

Der Wasservergleich für die Dreieinigkeit war in der frühen Kirche und im Mittelalter noch Häresie und wurde entsprechend mit dem Tode bestrafft (Modalismus).

6) Lukas

13. Juni 2014, 13:28

Schau an, wieder was gelernt. Die theologischen Bemühungen der Monarchianer erinnern mich frappierend an die verzweifelten Versuche von Sci-Fi- und Fantasy-Fans, die die Plotlöcher in ihrem Lieblings-Franchise wegzudiskutieren versuchen und dabei übergehen, dass die Autoren seinerzeit vielleicht einfach nicht darüber nachgedacht haben oder es ihnen schlicht egal war.

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