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Sputnics „Der Futurologische Kongress“

Der Futurologische Kongress

Der Astronaut und Wissenschaftler Ijon Tichy, gefeierter Held der Erde, ist zum „Futurologischen Kongress“ geladen, auf dem er seine neusten Forschungsergebnisse präsentieren soll. Im Hilton-Hotel angekommen erlebt er eine Enttäuschung: Sekt und Schnittchen gibt es nicht, stattdessen loggen sich alle Teilnehmer mittels eines Datenstöpsels im Rückenmark in ein Virtual-Reality-Netzwerk ein. Weil das nicht wirklich rund läuft, zieht Tichy die Reißleine – und landet plötzlich in einer weniger blumigen Welt, in der das Volk in einer bürgerkriegsartigen Straßenschlacht gegen den Kongress aufbegehrt, der nichts anderes ist als ein aus Gründen des Marketings umbenannter G20-Gipfel. Als es zu einem Einsatz chemischer Kampfstoffe gegen die Demonstranten kommt, verwandelt sich Tichy in eine Kartoffel und erwacht schließlich wieder in einer entfernten, albtraumhaft fremden Zukunft, in der Realität nur eine Frage der richtigen Pillen ist.

Im August 2013 saß ich im Kino und habe mir die Premiere von Ari Folmans The Congress angesehen, einer freien Bearbeitung von Stanisław Lems Der Futurologische Kongress, die reale mit animierten Sequenzen vermischt. Der Film war ziemlich langweilig, mit im Kino saß aber die großartige Illustratorin Julia Zejn, die nun, vier Jahre später, verantwortlich zeichnet für die Animationen des Theaterkollektivs Sputnic – und das inszeniert jetzt in Dortmund zum zweiten Mal (nach Die Möglichkeit einer Insel) ein Live-Animations-Theaterstück: Stanisław Lems Der Futurologische Kongress, ein Mix aus realen Bühnenszenen und animierten Sequenzen.

Der Futurologische Kongress

Sputnics Live-Animations-Theater funktioniert so, dass die Schauspieler zwar auf der Bühne stehen und ihre Texte sprechen, aber dabei an Tischen stehen, an denen sie Bilder wie in einem Scherenschnitttheater animieren. Diese Animationen werden von Kameras auf eine große Leinwand im hinteren Teil der Bühne übertragen. Ein Techniker schneidet zwischen den Kameras hin und her, wodurch man dem Ganzen auf der Leinwand wie einem Film folgen kann, gleichzeitig aber im Vordergrund quasi das Making-Of sieht.

Mangels anderer Referenzen ist ein Vergleich mit Sputnics vorangegangenem Werk unumgänglich, und verglichen mit dem Erstling ist der Aufwand, den das Kollektiv in diese Art der Inszenierung steckt, mittlerweile immens: die Figuren sind nun farbig und haben animierte Münder und Augen (!). Leider begibt sich Der Futurologische Kongress damit ein Stück weit hinab ins Uncanny Valley, diesen Gruselbereich der Animation, in dem Charaktere konkret genug aussehen, um als Menschen erkannt zu werden, aber gleichzeitig noch so künstlich wirken, dass man ihnen Emotionen nicht abnimmt. Die Scherenschnitte aus der Houellebecq-Umsetzung mögen simpler gewesen sein, waren in dieser Hinsicht aber effektiver.

Wirklich augenfällig ist das aber nur in den ersten Minuten, wenn sich das Stück nach einer brillanten, cienastischen Weltraumactionszene mit Puppen, Himmelskörpern und der ISS ein Stück weit verliert in einer langen, statischen Exposition an Bord eines Passagierflugzeugs. Danach zieht das Tempo glücklicherweise wieder an, und die Bilder werden in manischer Detailverliebtheit vollgestopft mit allen Gimmicks, die die Bastelkiste hergibt.

Neben diesen Verfeinerungen bemühen sich Sputnic diesmal um eine noch umfassendere Amalgamierung aller möglichen Erzähltechniken, und Lems absurde Vorlage scheint mit ihren verschiedenen Realitäten wie für diese Art der Umsetzung gemacht, in der jede Bewusstseinsebene einen anderen Stil nutzt. Das Geschehen wird in Comic-Panels unterteilt, mit den erwähnten Puppen getrickst, in vorproduzierten Videosequenzen auf die Leinwand oder auf Schauspieler gestrahlt oder, ganz klassisch, auf der Bühne gespielt – Brüche, die in speziell dieser Geschichte nur legitim sind.

Der Futurologische KongressVielleicht ist es diesem Bedürfnis, die Art des Erzählens in alle Richtungen zu expandieren, geschuldet, dass Der Futurologische Kongress auch in anderer Hinsicht nicht mehr so geschlossen wirkt wie Die Möglichkeit einer Insel. Das Kostümdesign von Uwe Schmieders Weltraumgöbbels ist keine Hommage an Gary Oldmans Zorg aus Das fünfte Element, sondern eine direkte, unverhohlene Kopie, und auch die Verwendung von Zahlen wie 42 und 23 und Bildzitaten aus Twin Peaks ist Geek-Getue, das Sputnic nun wirklich nicht nötig hätten.

Das ändert aber nichts daran, dass ich momentan von nicht einem einzigen Stück wüsste, das auch nur annähernd so kreativ mit dem Medium Theater umgeht wie Der Futurologische Kongress, und das gleichzeitig ein so unmissverständliches Bekenntnis zum Erzählen ist. Sputnic schaffen den Spagat zwischen einer nachvollziehbaren, spannenden Geschichte und einer nicht weniger nachvollziehbaren, spannenden Inszenierung und lässt beides wunderbar ineinandergreifen, und allein schon deswegen seien die Aufführungen im Dortmunder Megastore an dieser Stelle dringend empfohlen.

Pressemappe mit viel lesenswertem Drumherum zur Inszenierung

Termine und Karten (oder anrufen: 0231 – 50 27 222)




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