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Fantasy Filmfest 2013: App

appNach einer harten Party findet die Studentin Anna auf ihrem Smartphone eine geheimnisvolle App namens IRIS, die zunächst wie ein sehr praktisches Universal-Tool wirkt – intelligent, intuitiv zu bedienen, super um zum Beispiel in Uni-Veranstaltungen blitzschnell die richtige Antwort aufs Display zu bekommen. Dummerweise entwickelt IRIS (SIRI rückwärts, falls es wer übersehen hat) ein zunehmend bösartiges Eigenleben und wird, als Anna sie zu löschen versucht, zu einer wortwörtlichen Killer-App.

William Castle war Anfang der 60er Jahre der Erfinder der Gimmick-Horrorfilme. In seinem 13 Ghosts, präsentiert im von ihm entwickelten „Illusion-O“-Verfahren, konnte man die Geister mittels einer Rot-Blau-Brille auftauchen oder verschwinden lassen, in The Tingler wurden die Kinosessel mittels „Percepto“ zum Vibrieren gebracht. In Vorstellungen von House on Haunted Hill ließ er ein Gummiskelett an Seilen über die Zuschauer hinwegzischen („Emergo“), was aber bereits nach kurzer Zeit wieder abgeblasen wurde, als Asi-Kinder anfingen, die Skelette mit Zwillen zu beschießen. Apropos „Kurze Zeit“: Keines dieser Gimmicks überlebte mehr als einen Film, weil Gimmicks vom Reiz des Neuen leben.

Der niederländische App ist der erste Gimmick-Film seit langem, das Neue ist hier das Smartphone, und wie bei Gimmick-Filmen so üblich, kann man den eigentlichen Film schnell abhaken: App ist okay. Der Techno-Thriller reizt sein Medienthema gut aus, ist ordentlich aufgebaut, gut inszeniert, hinreichend glaubwürdig, ohne Kopfpatschmomente oder auffällige Plotholes. Hätte ich einfach wohlwollend abgenickt – wenn es nicht die App zu App gäbe.

Wer möchte, kann sich IRIS vor Filmstart auf seinem Taschentelefon installieren. Die App läuft ohne Internetverbindung und frisst kaum Akku. Sie wird bei Filmbeginn gestartet und synchronisiert sich anhand der Tonspur, man muss also nicht im richtigen Moment auf die richtige Taste drücken, sondern kann selbst dann noch problemlos einsteigen, wenn man das Handy nicht schnell genug aus der Tasche gekramt hat. Die Synchronisierung klappt so beeindruckend gut, dass ich erst dachte, irgendwas sei schiefgegangen, aber tatsächlich hat man es hier mal mit einer neuen Technik zu tun, die auf Anhieb und ohne Fummelei an den Einstellungen perfekt funktioniert.

Das Handy im Kino, sonst ein No-Go, wird mit IRIS zur zweiten Leinwand. Hin und wieder vibriert das Ding während des Films und zeigt einen Moment später irgendwas an. Zunächst nur einzelne Bilder, Establishing-Shots und dergleichen, dann mal was, was auch gerade auf den Handyscreens im Film zu sehen ist, nichts Wichtiges. Dann aber wird’s nach und nach interessant. Wir bekommen Facebook-Nachrichten der Figuren untereinander und später sogar ganze Szenen, die sich parallel zu der Handlung auf der Leinwand abspielen. Als App-User hat man damit einen Wissensvorsprung, weil man bestimmte Plotpoints vor den normalsterblichen Zuschauern erhält. Der Film erhält dadurch eine andere Dramaturgie, die erfreulicherweise genauso gut funktioniert wie die Version ohne App. Dem Film gelingt das Kunststück, eine Geschichte zu erzählen, die sowohl mit als auch ohne sein Gimmick gut unterhält. Das muss er auch – Torsten Dewi (der im Kino mein Smartphone mitgenutzt hat – das funktioniert nämlich auch wunderbar) hat nach Ende des Films mal in den Saal hinein gefragt, und nur (oder immerhin) ein Drittel der Zuschauer hatte die App genutzt.

Obwohl dieses mediale Experiment ein Riesenspaß war, glaube ich im Leben nicht, dass sich der zweite Bildschirm im Kino durchsetzt. Eine App für einen Film, in dem es um eine mörderische App geht, ist naheliegend, aber ich kann mir kaum ein anderes sinnvolles Szenario für eine solche Second-Screen-Technologie vorstellen. Vielleicht einen Slasher, bei dem man den ganzen Film gleichzeitig aus der Perspektive des Killers sehen kann? Ein Actionfilm mit einem Counter, der die Zahl der produzierten Leichen anzeigt? Historiendramen mit eingeblendeten Trivia-Informationen? Es hat schon seine Gründe, dass heute keine Filme mehr in Emergo, Percepto oder Illusion-O gedreht werden, und ich gehe davon aus, dass auch App eine singuläre Erfahrung bleibt. Allerdings eine sehr unterhaltsame. The Good.




Ein Kommentar

1) DMJ

10. September 2013, 19:24

Im Grunde egal, dass er tatsächlich ein okayer Film ist – die schöne alte Gimmick-Kultur wiederzubeleben ist Verdienst genug um seine Existenz zu rechtfertigen. 😉

Die Idee, gerade social-media-Zeugs per App zu simulieren ist gar nicht schlecht: Ich könnte mir vorstellen, dass auch etwa bei einem Katastrophenfilm Twitter-Nachrichten von Überlebenden eine interessante Spielerei wären. Eventuell könnten sogar beliebige Namen aus dem eigenen Adressbuch genutzt werden.

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