Ein virtueller Vergnügungspark mit Cartoons, Comics, altem Spielzeug, Genrefilmen und Texten über pixelige Videospiele, und über Verrückte.

Der Schenkraum

Die alternativen Treffpunkte der Republik ähneln sich dahingehend, dass sie – ein romantisches Relikt vordigitaler Zeit – Umschlagplatz für allerlei Flugblätter, Broschüren und Flyer sind, durch die sich Leute zu vernetzen suchen, die die bestehenden Verhältnisse als fragwürdig erachten. Und welcher normale Mensch tut das nicht?

Neben Informationen zu vielen interessanten, sinnvollen, relevanten kurzum: unterstützenswerten Projekten gibt es allerdings durchaus auch solche Sachen:

Ist professionell aufgemacht, stellt die verschiedenen Ränge der Bundeswehr vor und ruft explizit zur Gewalt gegen Uniformierte auf („Ab Oberstleutnant: Schienbein treten, Ohrfeige, Hauswand besprühen, Auto abfackeln, öffentliche Empfänge versauen. (…) Wer direkt reinhaut, macht nichts verkehrt.“). Der Fairness halber sei bemerkt, dass die Verfasser auch dazu ermahnen, Soldaten nicht einfach als Arschlöcher, sondern „als Menschen mit Widersprüchen zu sehen“, nichtsdestotrotz ist das ein Aufruf zur Körperverletzung, wegen dem es „prompt“ (ca. ein Vierteljahr nachdem ich das Flugblatt in Berlin abgegriffen hatte) Ärger gab. Die Adresse des Verantwortlichen im Sinne des Presserechts ist sowieso gefälscht – beziehungsweise in der Realität die der IHK in Fulda, warum auch immer. Ich hätte da doch wenigstens die eines Herstellers für wurfbeutelgeeignete Farben benutzt, aber ich hege den Verdacht, dass die Urheber keinen erwähnenswerten Sinn für Humor haben.

Um solche krasseren Einzelfälle soll’s aber nicht gehen, sondern um die genau entgegengesetzte, windelweiche Seite des Spektrums, gefunden auf der entgegengesetzten Seite der Republik (Bochum):

Joseph Beuys im Rahmen eines derartigen Layout-Ragnaröks zu zitieren, ist schon mutig. Vielleicht haben die Macher die Vorwürfe, die die bürgerliche Kunstkritik Beuys seinerzeit gemacht hatte, ja einfach für sich positiv umgedeutet. Aus einem empörten „Der Beuys kann nix und gilt trotzdem als Künstler!“ wurde ein entspanntes „Wir können nix und lassen das trotzdem drucken, du!“

Genau, erst mal muss ich eure Namen kennen (von mir gnädigerweise anonymisiert). Und nicht etwa, was ihr macht und was ihr von mir wollt.

Ich übersetze das mal: „Hallo! Wir haben einen Raum, den wir für Veranstaltungen vermieten. Wir arbeiten nach exakt den selben marktwirtschaftlichen Grundsätzen wie jeder andere Veranstaltungsort auch, aber wir sprechen nicht von „Miete“, sondern von „Schenkungen“, um unser antikapitalistisches Selbstbild nicht anzukratzen.“ Ich hatte schon mehrfach mit solchen Schwurbelköpfen zu tun. Die bieten einem einen Raum oder einen Gegenstand für Umme an, und wenn man dann dankend zugreift, geht das Herumdrucksen los. Das folgende Telefongespräch ist aus der Erinerung heraus rekonstruiert (ist schon gut zehn Jahre her), aber im Kern so abgelaufen:

Typ: „Also, wir haben ja gestern gesagt, ihr bekommt den Raum umsonst, aber das geht nicht ganz so…“
Ich: „Wieso?“
Typ: „Na, da muss doch ein Barmann stehen, falls eure Besucher was trinken wollen. Den müsstet ihr dann stundenweise bezahlen.“
Ich: „Okay, bekommen wir dann auch den Gewinn, der daraus entsteht?“
Typ: „Also, das jetzt nicht.“
Ich: „Dann sagen wir den Leuten lieber, sie sollen ihre eigenen Getränke mitbringen, den Barmann brauchen wir nicht.“
Typ: „Hm. Ja. Aber… (*überleg*) da muss ja hinterher auch geputzt werden. Die Reinigung, die müsstet ihr uns schon bezahlen.“
Ich: „Wir machen da keine Abrissparty. Vielleicht stehen hinterher ein, zwei Flaschen rum, die können wir selbst wegräumen.“
Typ: „Aber… (*denkdenkdenk*) Ihr verbraucht ja auch ’n bisschen Strom, nich? Der kostet uns was.“

Es dauerte noch circa zehn Minuten, bis er halbherzig damit rausrückte, dass er und die Seinen halt einfach nachträglich festgestellt hatten, dass es ihr Raum war, dass sie Geld gut fanden, und dass sie das eine gegen das andere eintauschen wollten. All die Begründungen, die mein Gesprächspartner vorschob, dienten nur dazu, von einem vollkommen gewöhnlichen Vorgang abzulenken, der aber im Weltbild der Betreiber nicht vorgesehen war.

Egal, weiter im Text:

Wo ist „hier“? Wie viele Leute passen „hier“ rein? Welche technischen Möglichkeiten habe ich „hier“? Alles Fragen, deren Beantwortung ja nicht ganz uninteressant wäre, wenn ich mich ernsthaft für den Veranstaltungsort interessiere. Was aber kann denn „hier“ nun sein?

Ein Vorzeit-Puppenspiel ist hoffentlich was mit Sauriern, und unter einem Nachzeit-Puppenspiel stelle ich mir was Postapokalyptisches mit Terminatoren vor. Das wäre beides awesome, und deswegen dürfte ich mich in beiden Fällen irren. Der ebenso vage (ich habe keine Ahnung, was „3K’s“ sein soll) und beliebige Rest der Liste unterstreicht noch einmal wirkungsvoll, dass es den Machern offensichtlich scheißegal ist, was in ihrer Hütte über die Bühne geht, solange die Kunden genug Schenkung in die Kasse spülen. Oder?

Geburtstage und andere Feiereien gehen also, aber nur, solange nur Musik von bärtigen Liedermachern mit Klampfe und Fistelstimme läuft und ausschließlich Fanta ausgeschenkt wird. Kaffee wäre wegen der Droge Koffein vermutlich ein Grenzfall. Ich bin Nichtraucher und Abstinenzler, aber nicht mal ich hätte einen derartigen Birkenstock im Arsch.

Dann rückt doch endlich mal damit raus, um was für Veranstaltungen es geht und wann selbige eigentlich stattfinden, himmelkreuzgewitternocheins!

Wäre ein „Hier/Wie können wir Sie beschenken!?“ nicht eher euer Duktus? (und weiterhin: wo ist „hier“?)

Okay. Welche Veranstaltungen?

Mach ich. Diesen Artikel zum Beispiel.

Welche Email-Adressliste? Um was für Aktivitäten geht es?

Welches Gästebuch? Die Webseite, mit der ihr nachher noch rüberkommt, hat keines. Aber ich kann euch direkt „hier“ und jetzt eine konstruktive Anregung übermitteln, bitteschön: konsumiert weniger grünen Tee – oder was immer es ist, das euch drogenfreien Hippieluschen die Birne weichkocht.

Welche Initiative?


„Hey, da gibt es diese neue Initiative!“
„Okay, was machen die?“
„…“
The End.

Wohin? Und das „nächste Mal“ suggeriert, dass es vorher bereits ein erstes Mal gibt. Was ohne einen wie auch immer gearteten Veranstaltungskalender unwahrscheinlich bleibt.

Whoa! Ein Bild! Wieso? Ah! Das Grimmsche Märchen von den Sterntalern, klar! Es geht einmal mehr darum, dass man nur nett sein muss, und dann hat der Wohlstand gefälligst vom Himmel zu fallen:

Gute Gefühle könnt ihr haben, jede Menge. Jetzt grade! Merkt ihr’s schon? Na?

Ich gehe im Übrigen davon aus, dass es kein Zufall ist, dass der Wunsch nach finanziellen Zuwendungen räumlich durch ein Bild abgetrennt wurde und verschämt am unteren Ende der Seite hängt. Hätte man ja auch zu stehen können.

Die letzte Seite der Broschüre ist dem Impressum gewidmet (unter dem originellen Titel „Absender“). Dort gibt es nicht nur bereits zum zweiten Mal die Namen der Verantwortlichen zu lesen, sondern auch noch die URL einer Webseite, die ich im ersten Moment für einen Druckfehler gehalten habe, weil sie zur Homepage einer Puppenbühne führt, aber offensichtlich ist das korrekt so. Darum handelt es sich also eigentlich: ein kleines (ca. 10 Plätze) Puppentheater für Kinder, das aber nur ein oder zwei Vorstellungen im Monat gibt und den Raum deswegen anderweitig untervermieten möchte. Es wäre doch nicht all zu schwer gewesen, das genau so zu schreiben.

Unten drunter gibt es noch, wie hastig nachgeschoben, eine Adresse nebst handgemaltem Stadtplan von Bochum mit Erläuterungen in Grundschulkinderschrift. Zumindest wo „hier“ ist, wäre damit auf den letzten Zentimetern noch geklärt.

Außerdem wird uns natürlich noch – wichtig, wichtig! – die Bankverbindung fürs „Schenkgeldkonto“ mitgeteilt. „Schenkgeld“ ist ein Begriff, der von Rudolf Steiner, dem verrückten Erfinder der Anthroposophie erdacht wurde, und das erklärt dann auch endlich diese seltsame Broschüre: die ist genauso unentschlossen, nichtssagend und labberig wie die hingetupften Bilder, die im Kunstunterricht von Waldorfschulen entstehen.




3 Kommentare

1) CrazyEddie

8. August 2012, 23:11

Ich lachte eben Tränen, Dane dafür. Auf dass du von diesen Gefühlen profitieren mögest.

2) Dietmar

10. August 2012, 00:56

Das war genau so lange lustig, bis klar wurde, dass die Anthroposophie dahinter steckt. Das ist dann ziemlich eklig.

3) Linus Misera

11. August 2012, 19:07

Sehr schöner Beitrag. Bei Zeiten mache ich mir Gedanken, was ich in 50 Jahren wohl für ein „Altlinker“ sein werde. Aber eins ist sicher: So ein Spießbürger im Hippiegewand will ich nie werden.

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