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Herr Schrotmann und Xü

Das erste Kapitel im großen deutschen Roman des 21. Jahrhunderts? Oder doch nur wieder was mit Pimmeln?

Hörbuch-Version:

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Textversion für Selbstleser:

Herr Schrotmann seifte sich die Schultern ein und begann damit, sich zu rasieren. Er war angespannt, und doch bereit, vor ein großes Publikum zu treten. Sein Publikum. Mit jedem Strich des Rasierers kam unter der dicken Haarschicht mehr rosiges Fleisch zum Vorschein. Und Fleisch gab es viel. Herr Schrotmann war kein schlanker Mensch, sondern ein Koloss von einem Mann. Orgien, immer wieder Orgien hatten seinen Leib über die Jahre hinweg bis zum Bersten gespannt, so dass zumindest keine unförmigen Fettfalten an ihm herabhingen, sondern er sehr rund und prall wirkte. Er stand nackt in seinem riesigen Badezimmer mit den zig Meter hohen Decken, vor den Wänden, deren Komplettverspiegelung den Raum ins Unendliche zu vervielfältigen schien. Für einen Moment hielt er mit dem Rasieren inne und betrachtete sich. „Wie ein haariger Luftballon“, dachte er. „Noch nicht gut, kann aber gut werden. Wird gut werden.“

Xü wartete derweil auf einem dunklen Samtkissen, das auf einer schwarzen Marmorsäule ruhte, die Herr Schrotmann extra zu diesem Anlass in der Mitte des Badezimmers hatte installieren lassen.

Herr Schrotmann rasierte sich weiter, die Achseln, dann die versprengten Haare auf den Oberarmen, den Dschungel der Unterarme und das weiche Grasland auf seinen Handrücken und Fingern. Alles musste weichen. Er hatte schon viel zu lange damit gewartet. Besondere Aufmerksamkeit widmete er seiner Brust, rasierte immer wieder darüber, in Wuchsrichtung, gegen die Wuchsrichtung, bis jede Erinnerung an ein erwachsenes Leben von seinem Oberkörper verschwunden war. „Wie ein Kind, genau wie ein Kind“ murmelte er vergnügt.

Xü beobachtete hilflos, wie Herr Schrotmann mit dem Unterkörper genauso verfuhr, wie er seine Bauchdecke und dann sehr gewissenhaft seinen Penis enthaarte, den er über seinen geschwollenen Bauch hinweg nicht sehen und nur dank der Spiegel behandeln konnte. Herr Schrotmann beugte sich nun vornüber, spreizte mit der einen Hand seine Gesäßbacken und setzte den Rasierer rund um seinen After an. Xü hatte gedacht, dass dieser Anblick mehr auslösen würde, hatte mit Weinkrämpfe oder schlicht Angst gerechnet, war es doch ein Bild, das an die unmittelbare Zukunft gemahnte – doch nichts davon. Xü sah nur einen absurd dicken Mann, der eifrig versuchte, jedes noch so kleine Haar von seinem Hintern zu entfernen. Wäre die Situation nicht so lebensbedrohend ernst gewesen, man hätte laut auflachen müssen. „Sauber, das muss sauber sein“ quietschte Herr Schrotmann kritisch. „Millionen werden mich so sehen!“ Hektisch rasierte er sich anschließend die Beine, immer gerade eben so vorsichtig, dass er sich nicht schnitt, denn das hätte alles zunichte gemacht. Der Körper musste unversehrt bleiben!

„Xü!“ schrie er nun, „mein Rücken! Kümmere dich darum!“

„Ist das wirklich nötig?“ antwortete Xü leise, und wusste im selben Moment, wie dumm die Frage gewesen war: überall dort, wohin der Rasierer nicht gelangt war, wuchsen dicke, schwarze Locken aus Herrn Schrotmanns Rückenfett. Xü erhob sich eingeschüchtert, kletterte von dem samtenen Kissen herunter, kletterte kopfüber die schwarze Säule hinab, huschte über den schwarzen Marmorboden und krabbelte an Herrn Schrotmanns kurzen Beinen nach oben auf den pelzigen Rücken. Während Xü nun anfing, die Haarbüschel auf Herrn Schrotmanns Rücken sauber abzubeißen, begann dieser bereits mit der nächsten Stufe seines Plans. Ein Glatzkopf war er zwar immer gewesen, doch über seinen Augen prangten dicke, buschige Augenbrauen, an die er jetzt ebenfalls den Rasierer setzte. Mit kurzen, entschlossenen Strichen entfernte er sie samt und sonders, während er konzentriert murmelte: „Xü, wie weit bist du? Wir haben nicht mehr viel Zeit!“

„Fast fertig“ tönte es zaghaft von hinten zurück. „Soll ich dann das Öl holen?“

Herr Schrotmann antwortete nicht darauf. Er war nah an die Spiegelwand herangetreten und damit beschäftigt, sich die Wimpern auszureißen.

Xü wartete nicht mehr auf eine Reaktion und kletterte vom speckigen Rücken des Mannes hinunter, um die Phiole mit dem Öl aus einer in eine der Spiegelwände eingelassenen Vertiefung zu holen.

Herr Schrotmann gluckste vor Freude. Kein Haar, kein Härchen, nicht die Ahnung einer Haarwurzel war noch an seinem Leib verblieben. Er strich liebevoll über seine pralle Figur, drückte ein wenig auf die dicken Polster, erschauderte, als er die Hand mit nur wenig Druck im weichen Fett seiner Hüfte verschwinden ließ.

Xü trug die Phiole mit dem ersten Paar der Vorderbeine, kletterte wieder an Herrn Schrotmann hoch und schlängelte sich um dessen kahlen Schädel. „Jetzt, jetzt!“ quiekte Herr Schrotmann. Xü packte den Glasverschluss des Ölfläschchens mit den Beißzangen und zog ihn heraus, kippte das Fläschchen um und ließ dessen Inhalt an Herrn Schrotmann hinablaufen. „Ja, genau so!“ Herr Schrotmann war begeistert. „Sieh nur Xü, wie das glänzt. So weich! So vollkommen!“ Herr Schrotmann verteilte das Öl auf seinem Körper, rieb jede noch so kleine Stelle, jedes der wenigen Fältchen mit der duftenden Flüssigkeit ein. Er glitzerte im harten Neonlicht, tausendfach widergespiegelt in den vier Wänden. „Dies ist der Neue Mensch“ verkündete Herr Schrotmann feierlich, „gefüllt, so weit es die Natur eben zulässt und haarlos und glatt. Sogar die Zeit würde an diesem Körper abgleiten. Du kannst dich wirklich glücklich schätzen, Xü!“ Herr Schrotmann beugte sich hinab und strich über den kleinen Kopf, viel zärtlicher als Xü es wünschte.

Plötzlich ging ein Ächzen durch ihre Ohren. Xü blickte sich um und sah, dass sich ein tiefer Riss durch ihrer beider Spiegelbilder zog. Wie auf einem zerbrechenden Gletscher kroch der Riss unter schrillem, kalten Knacksen weiter, griff auf die anderen Wände über und verästelte sich, bis er die zigtausend Inkarnationen von Herrn Schrotmann und Xü, die bis eben noch im Raum gestanden hatten, zersplittert hatte.

„Es beginnt. Es beginnt tatsächlich! Nach all den Jahren der Planung. All den Mühen! Endlich ist es soweit, Xü!“ Herrn Schrotmanns Stimme zitterte vor Aufregung. „Komm zu mir, lass dich beschützen!“ Er hielt die Hände hin. Xü zögerte, aber die Spiegel des Badezimmers begannen nun geräuschvoll von den Wänden zu platzen, Stück für Stück, Splitter für Splitter. Die Angst vor den rasiermesserscharfen Scherben trieb Xü voran. Beinpaar für Beinpaar kletterte in die schützenden Hände Herrn Schrotmanns, der sie nun zu einer warmen und glitschigen Höhle zusammenlegte. Und während von außerhalb dieser Höhle das ohrenbetäubende Krachen der zerbrechenden Spiegel weiter toste und Herr Schrotmann hysterisch kreischend seinen Triumph auskostete, fragte sich Xü zum ersten Mal, wie es eigentlich soweit hatte kommen können.



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2 Kommentare

1) Peroy

15. März 2012, 18:13

Van Looping…

2) Gregor

15. März 2012, 22:49

Zugegeben, ich möchte wissen, wie es weitergeht. Auch wenn ich Angst vor den erbrochenen Penissen habe.

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