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Oh Schreck der heiligen Geister! – Der Zauberfilmdirektor Phil Fox und das Elend von Camelot (Teil 2)

Zusammenfassende Anm. von Lukas: Im Herbst 2004 begegnen sich Dirk M. Jürgens und Phil Fox anlässliche eines Filmkurses an der Musikschule Rendsburg. In der Phantasie von Kursleiter Fox ist die norddeutsche Kleinstadt ein Vorort von Hollywood, in der gemäßigteren Wahrnehmung Dirks die Arbeit mit Fox eine Vorschau aufs Fegefeuer. Im ersten Teil verwandelte Fox Dirks Nervenkostüm in ein Alarmglockenspiel, indem er in einem stetigen Crescendo erst eigenartige Änderungswünsche bezüglich Dirks Drehbuch hatte und schließlich überraschend zu einem Casting lud, das nicht so wirklich zu der Filmhandlung, auf die man sich verständigt hatte, zu passen schien. Die Ereignisse spielen sich in einer Musikschule ab, bleiben wir also ruhig bei Bildern aus dem akustischen Bereich – Es folgen ein paar überaus dissonante Akkorde:

Dieser Aushang hing während des Castings am Saaleingang. Zeitreisen gab es in meiner Version der Geschichte übrigens nicht, aber das ist noch das geringste Problem.

Fox teilte das Drehbuch aus, welches er zusammen mit seiner Schülerpraktikantin erarbeitet hatte. Nun ist mir klar, dass ein Drehbuch im Laufe einer Produktion Änderungen unterworfen sein kann (schließlich hatte ich das meine schon zig mal den Wünschen unseres Kursleiters angepasst). Aber abgesehen davon, dass dieses hier aufgrund mangelhafter Deutschkenntnisse seines Autors eine sprachliche Katastrophe war – es hatte irgendwie nichts mehr mit dem zu tun, was ich geschrieben hatte. Ja, Merlin kam vor. Und Morgana, Mandy (umbenannt in „Alice“) und Thorsten. Neu waren unter anderem König Artus samt Hofstaat (für eine einzelne kleine Szene, in der der legendäre Monarch nur einen einzigen, kleinen Satz spricht) und ein gewisser „Sven“, der sich in einem kurzen Monolog gleich anfangs von Alice (der Nachfahrin von König Artus) trennt:

Laut Fox sollten wir unsere Heldin so gleich zu Beginn näher kennenlernen. Sie sei nämlich so eine, von der sich ihr Freund trennt. Jawohl, so eine!

Ohne erkennbares System springt die Handlung immer wieder zwischen Mittelalter und Gegenwart umher, bis Mordred und der König schließlich aufeinander treffen. Es kommt zur folgenden, kryptischen Szene:

Darin unterscheidet sich Mordred vom Leser, der keinen blassen Schimmer hat, a) was der „hohe Rat“ ist und b) wieso die Zeit reif ist, irgendwelche Nachfahren nach Avalon zu holen.

Wirr geht es weiter. Ich stellte fest, dass der Mann, der betonte, man könne diese Geschichte nur als Komödie erzählen, fast jeden einzelnen Gag aus meinen Dialogen gestrichen hatte. Stattdessen umarmen die Figuren einander immer wieder unmotiviert und stoßen rätselhafte Sätze aus von einer „ewigen Welt“ und einem „Thron des ewigen Lebens.“

Wenn schon nicht an mein Drehbuch, so erinnerten mich die Sätze, deren erste Hälften nie zu den zweiten passen, das uneinheitliche Layout und die zahlreichen Tippfehler zumindest an die Hausaufgaben, die man früher noch schnell beim Frühstück oder im Bus zusammenkritzelte. Tatsächlich räumte Fox ein, das Drehbuch erst am vergangenen Wochenende verfasst zu haben, was natürlich meine Schuld sei, weil ich zuvor so viele Versionen geschrieben hatte.

Ergibt Sinn.

Fragen, die ich mir auch stellte, da die Erklärungen und Zusammenhänge meiner Version gewissenhaft eliminiert worden waren. Die einzige Antwort aber, die Alice, bzw. der Leser daraufhin bekommt, lautet:

Als Gut und Böse schließlich aufeinander treffen, lassen die beiden Magier nicht etwa ihre Auserwählten gegeneinander kämpfen, wie sie es kurz zuvor noch verkündet hatten, sondern krempeln selbst die Ärmel hoch und fallen mit bloßen Händen übereinander her. Doch schließlich ertönt aus dem Himmel eine…

 Letzteres soll wohl eine Regieanweisung sein. Danach umarmen sich unsere Sterblichen und gehen unter den Blicken der auf einmal doch wieder da seienden Zauberer weg, während mein Schlussmonolog ertönt, der halt für ein anderes Ende geschrieben war.

Oh Schreck der heiligen Geister, fürwahr!

Die verwirrte Stille im Saal, nachdem das Drehbuch vorgelesen worden war, beendete Fox, indem er auf mich deutete und um Applaus für den Autor bat. Dieser brach tatsächlich pflichtschuldig aus, ich würgte ihn aber ab, indem ich (der ich derartige öffentliche Auftritte ansonsten vermeide) lautstark die Verantwortung für diese Vergewaltigung meiner Geschichte zurückwies. Tief getroffen beschwerte sich Fox über die Bloßstellung und verlangte, ich könne ihm schon vertrauen, schließlich habe er schon viele Hundert Filme gedreht – meinen Einwand, dass ich nicht wisse, ob diese gut seien, und dass es deswegen sinnvoller wäre, ihn nach dem zu bewerten, was er hier abliefere, empfand er als gemein und unfair. Dennoch bedankte er sich für den Rest des Tages zu den unpassensten Gelegenheiten bei mir, wofür lies er offen; ich bin mir sicher, er war aufrichtig davon überzeugt, dass seine Version der meinen haushoch überlegen war, wollte sich aber gut mit mir stellen, weil er Handlanger brauchte, um seine Vision nun in Bilder umzusetzen.

Doch auch ohne diese Episode war das Casting ein Debakel: Erst schubste Fox den zum Regisseur auserkorenen Kursteilnehmer vor, der Derartiges natürlich noch nie gemacht hatte und darum wenig zu tun wusste, dann übernahm er selbst und ließ beliebige Einzelsätze aus dem Drehbuch sprechen. Wir Anderen machten fleißig Notizen und waren uns schließlich darin einig, dass wir mit einem gepiercten Goth-Mädchen eine perfekt geeignete Morgana hätten. Was wir nicht ahnen konnten: Fox hatte die Morgana-Rolle bereits ohne Rücksprache einer anderen Dame gegeben (die, das will ich nicht verschweigen, ihren Job auch wirklich gut machte). Die Folge war, dass er (wie es bekanntlich beim Film ein verbreitetes Vorgehen ist) anordnete, alle Morgana-Szenen würden doppelt, also mit beiden Darstellerinnen gedreht, so dass man sich später entscheiden könne. Er selbst brachte noch jemanden ein, der tatsächlich sowohl schauspielerisches Talent als auch Charisma hatte und folglich die klitzekleine und stumme Rolle Mordreds bekam.

Ein Film in zwei Zeitzonen: Diese hohlen Versprechungen bekamen alle ausgehändigt, die die schier unüberwindlindlichen Hürden des Castings bezwungen hatten. Nicht mehr überraschen sollte, wie wichtig sich der Wisch nimmt und dass es den Anschein hat, als würden in der Hauptsache kleine Kinder angesprochen (Zum Vergrößern anklicken).

Noch vor Drehbeginn wurden wir gewarnt, wie hart und schwierig so etwas würde. Nicht nur, dass Schauspieler ja stets der Gefahr ausgesetzt sind, dass ihre eigene Persönlichkeit unter der angenommenen Rolle für immer verschwindet (in einem solchen Fall hätte man zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen dürfen, damit Fox einem helfe, wieder man selbst zu werden) – Fox schärfte uns ein, dass selbst die erfahrensten, bestausgestattetsten Profis allerhöchstens zwei Minuten Film am Tag zusammen bekämen. Der Drehplan sah allerdings (entgegen dem zuvor ausgegebenen Kursplan) nur vier Tage vor, davon zwei nur von 16-19:00 Uhr, das Drehbuch hatte zwanzig Seiten, der Film sollte eine halbe Stunde lang werden.

Ich war nie gut in Mathe, aber irgendwas schien mir da nicht zu stimmen.

Ohne das näher zu vertiefen begannen wir bald mit dem Dreh. Mir hatte man, meiner nicht gerade überragenden Beobachtungsgabe zum Trotz die Continuity zugeteilt, was im Verlauf der Produktion noch problematisch werden sollte. Die Ausbeute des ersten (dreistündigen) Drehtages war noch geringer, als erwartet, da Fox allerlei Leute dazu eingeladen hatte, die in den geplanten Szenen gar nicht gebraucht wurden, und die meiste Zeit mit ihnen (vermutlich von seiner Karriere plaudernd) in einem anderen Zimmer verbrachte, während wir Amateure, die wir nie eine Kamera in der Hand gehalten hatten, es allein versuchen sollten – wohlgemerkt in doppelter Ausführung mit zwei Morganas. Alles natürlich pädagogische Absicht, wie wir erfuhren. Denn wie sollten wir es richtig lernen, wenn man es uns nicht erst selbst probieren ließ? Man mag darüber streiten, wie sich dieser an sich ja vernünftige Ansatz mit einem ohnehin schon engen Drehplan verträgt. Mit Regisseur und Kameramann immerhin konnte ich gut zusammenarbeiten, so dass wir vergnügliche Stunden damit verbrachten, den bedauernswerten (und auch nicht untalentierten) Darsteller des Thorsten zum Overacting zu treiben. In der Komödie, als die wir drei den Film noch immer dachten, hätte es durchaus gepasst.

Ein von mir schnell erstelltes Storyboard für eine Szene, die dann aber nie gedreht wurde. Vermutlich, weil sie im Kontext des Films zumindest ansatzweise Sinn ergeben hätte.

Ich überspringe ein paar erschöpfende Verwicklungen, wie die Umbesetzung Merlins, der zweimal zu Drehtagen geladen worden war, an denen er nicht zum Einsatz kam und dann vernünftigerweise den Job hinschmiss, ein alternatives Skript, in dem nicht Merlin, sondern sein Assistent Phil die Hauptrolle spielte (nicht, was man jetzt automatisch denkt – Mr. Fox hatte sich selbst für die Rolle des Artus gedacht), irgendjemandes Tod bei einem Busunfall, sowie die Ersetzung der Alice-Darstellerin durch die gothige der beiden Morganas. Wir rückten schließlich bis zur 13. Drehbuchfassung vor, gedreht wurde dann aber etwas ganz Anderes, was keiner der zusammenhängenden Fassungen entsprach.

Es gab Außendrehs für die von Fox als spektakulär gedachten Mittelalterszenen, in denen Kinder von vier bis zehn Jahren in bunten Umhängen über ein Feld liefen und ein Tor hinter ihnen geschlossen wurde, zudem ritten Morgana und Mordred (und – vollkommen sinnlos – Thorsten) unmotiviert auf den Pferden eines nahen Reithofes durch die Botanik, ohne dass etwas davon später irgendwie auch nur halbwegs sinnvoll in den Film eingebracht wurde. Erschwert wurde die Arbeit noch dadurch, dass eine Dame mir unbekannten Hintergrundes die Dreharbeiten per Videokamera dokumentieren sollte und zu diesem Zweck bereits gedrehte Szenen noch einmal spielen ließ, weil sie sie nicht optimal auf B-Roll gebannt hatte. Ein Hollywoodprofi kennt halt die Prioritäten.

Diese ID-Karten wurden von Phil Fox ausgegeben, da bei einem solch großen Filmdreh ja nicht jeder jeder kennen könne, und daher Schlüsselfiguren der Produktion jederzeit die Möglichkeit haben müssten, gegenüber anderen Kursteilnehmern ihre Anwesenheit am Set zu legitimieren (Aufmerksamen Lesern könnte auffallen, dass es sich nicht nur bei „Phil Fox“, sondern offenkundig auch bei „Dirk M. Jürgens“ um einen Künstlernamen handelt).

Auf Fox’schen Verdacht hin drehten wir auch einen längeren Schwertkampf zwischen Alice und Thorsten, für den wir von unserem Kursleiter erfuhren, dass man beim Film fechte, indem man die Breitseiten der Schwerter gegeneinander schlägt, da das sicherer sei und zudem ein gutes Geräusch gibt. Ich bin mir sicher, Tarantino hat es bei „Kill Bill“ nicht anders gemacht und so die horrenden Kosten einer Nachvertonung gespart. Zumindest dieser Kelch ging an der Produktion vorüber, da „Mordred“, der ein ehemaliger Berufssoldat und wirklich im Umgang mit Klingenwaffen ausgebildet war (in Fox` Fassung aber natürlich keine Fechtszene hatte), hier intervenierte. Für einen etwas riskanteren Schlag, der nur knapp Alices Kopf verfehlt, ließen wir die Schauspieler sich einfach langsam bewegen, in der Absicht, es später im Schnitt schneller abzuspielen, damit es nicht auffällt. Ich greife vor, wenn ich mitteile, dass unser Cutter (Na, wer war das wohl?) die Szene in normaler Geschwindigkeit einfügte.

Nach einer mir nicht mehr durchschaubaren Anzahl von Drehtagen, bei denen man immer noch längst nicht alles zusammengefilmt hatte, was benötigt wurde, schrieb ich eine Rundmail, in der ich dazu riet, dass man sich vielleicht mal einen Überblick verschaffen sollte, was wir haben und was wir noch brauchen, um das Material irgendwie sinnvoll zusammenfügen. Zu meiner Überraschung erfuhr ich daraufhin, dass man einfach drei Tage ohne mich weiter gedreht hatte (zur Erinnerung: ich war immer noch zahlender Kursteilnehmer und theoretisch für die Continuity zuständig). Schuld sei ich, weil ich nicht zu erreichen gewesen sei. Ein Abgleich der Zeiten, in denen man mich angeblich angerufen hatte und in denen ich daheim war, ließ diese Version äußerst unwahrscheinlich erscheinen, und da es nicht zuletzt ich war, der Fox mit vorsichtigen Fragen nach Sinn und Unsinn der exzentrischeren Aspekte der Produktion belästigt hatte, könnte man einen üblen Verdacht hegen. Ich möchte mich aber nicht so weit aus dem Fenster lehnen zu sagen, dass die Bosheit hier stärker gewesen sei als die Inkompetenz.

Per Wettbewerb hatte man den Film zwischenzeitlich umbenannt (denn – vorausgesetzt, ich interpretiere Fox‘ damaligen, wirren Monolog richtig – läse man im Vorspann den Titel „Merlins Rückkehr“, so würde man sich als Zuschauer irritiert fragen, ob es sich um eine Fortsetzung handle und könne sich nicht mehr auf die Handlung konzentieren):

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Der Gewinnertitel lautete schließlich „Die Erbin von Camelot“, andere Vorschläge waren „Das Avalon-Spiel“, „Merlin kommt zu Besuch“, „Der Kampf – Kann Gut gegen Böse siegen?“, sowie „So ein Blödsinn“ und „Ach du grüne Neune“. Offenbar war ich inzwischen nicht mehr der Einzige, der der ganzen Angelegenheit skeptisch gegenüber stand.

Die Dreharbeiten waren zu diesem Zeitpunkt schon beendet, es folgten noch Postproduktion und Premiere. Das aber ist ein abgründiges Kapitel für sich.

Fortsetzung folgt.




10 Kommentare

1) Peroy

19. Dezember 2010, 04:04

„Nicht nur, dass Schauspieler ja stets der Gefahr ausgesetzt sind, dass ihre eigene Persönlichkeit unter der angenommenen Rolle für immer verschwindet…“

Genau dasselbe ist mir auch passiert, als ich in „Passage 33“ die Rolle „Gammliger Student im Hörsaal“ gespielt habe… 🙁

2) Gregor

19. Dezember 2010, 17:20

Grossartig, einfach nur grossartig.

3) Reini

22. Dezember 2010, 16:24

Au Backe… ich kann es kaum erwarten, den Film zu sehen 😉
Noch eine Frage – Isser das: http://www.ataleaboutbootlegging.com/pfox.html ???

4) Lukas

22. Dezember 2010, 17:54

@Reini: Nein. Ich habe Fox vorher einigermaßen ausführlich gegoogelt und weder ein Foto noch nähere Angaben zu seiner Person gefunden. Ansonsten hätten wir den Namen abgekürzt.

5) Sebastian

23. Dezember 2010, 20:33

Moin Leute. Gratulation und Dank für diese Vergangenheitsbewältigung. Ich erinnere mich als wär es gestern gewesen… Ich hatte damals übrigens vor einen Enthüllungsartikel zum Thema zu schreiben! Ich habe noch dicke Material, falls ihr noch ein Follow-Up schreiben wollt… angebliche Filmtitel aus Fox‘ Lebenswerk und gar eine Website zu Fox‘ unglaublicher Erfindung, dem Quantenwahrscheinlichkeitsrechner!

6) Lukas

23. Dezember 2010, 21:11

@Sebastian: Immer her mit dem Zeug. 😀

7) Matthias

23. Dezember 2010, 21:31

Harr Harr Harr … ich habe echt Tränen gelacht beim Lesen. Gut geschrieben! Ich erinner mich auch an die Sache, als ob es gestern gewesen wäre. Toll, Dirk, dass du bis zum Ende dabei geblieben bist, auch wenn du den Namen vom Vorspann gekratzt hast. Das kann nur jemand bringen, der auch die miesesten Filme bis zum Ende durchguckt 🙂

8) Gregor

23. Dezember 2010, 22:04

Was, die gefährlichen Zwillinge waren auch dran beteiligt? Staun!

9) Peroy

24. Dezember 2010, 01:15

Oh Schreck, oh dräuend Ungemach, warum kann es nicht schon heilig Abend sein… warum, warum, warum ?!? 🙁

10) Matthias

26. Dezember 2010, 23:09

Naja, beteilgt nicht, aber ich hab Dirks Verwirrung live genossen 🙂

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