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Heil dem Fleisch! David Cronenbergs „The Fly – The Opera“

Vor zwei Jahren inszenierte David Cronenberg in Paris die Opernversion von The Fly. Am vergangenen Montag sendete arte ohne so wirklichen Anlass eine einstündige Dokumentation zum Thema:

Was mir immerhin Anlass gibt, meine Besprechung von damals wieder rauszukramen. Ich saß bei der Uraufführung im Juli 2008 im Publikum; die erste ungeschliffene Fanboy-Fassung meiner Kritik erschien kurz nach der Premiere auf Englisch bei Aintitcool.com und später in der vorliegenden Version bei Weirdfiction.de. Genauso wie die Oper eigentlich nur was für Leute ist, die den Film kennen (und deswegen seinerzeit beim Standard-Opernpublikum auch nicht überragend ankam), empfiehlt sich auch für meinen Text entsprechende Vorkenntnis, nicht nur, weil ich die Handlung darin als bekannt voraussetze und den Film spoiler wie ein GTI-Treffen in Castrop-Rauxel, sondern weil diese psychotronische Bühnen-Seltsamkeit es erzwingt, dass man sie ständig mit dem Film vergleicht.

Heil dem Fleisch!

Musical-Verfilmungen erfreuen sich seit dem Aufkommen des Tonfilms steter Beliebtheit, und auch der umgekehrte Weg, von den Studios in Hollywood auf die Bühnen des Broadways, ist mittlerweile keine Seltenheit mehr, ja sogar ein reges Hin und Her spielt sich gelegentlich zwischen amerikanischer Ost- und Westküste ab. Man denke nur an The Producers, Little Shop Of Horrors oder Reefer Madness, die alle zunächst als Filme existierten, dann für die Bühne adaptiert wurden und schließlich wieder nach Hollywood gelangten. Anders sah es bislang mit der eher europäisch verwurzelten Kunst der Oper aus. Opern wurden zwar durchaus verfilmt, aber auf die Reise von den USA nach Europa hatte sich, man möge mich korrigieren, bislang kein Stoff begeben – David Cronenbergs Die Fliege von 1986 dürfte der erste Film sein, der in eine Oper verwandelt wurde. Bedenkt man, dass Cronenbergs Filme in aller Regel selbst von Verwandlungen psychischer oder physischer Natur handeln (oder von beidem), so ist dieser Umstand genauso stimmig wie der, dass The Fly – The Opera ihre Premiere Anfang Juli 2008 ausgerechnet in einer europäischen Metropole feierte.

Die Oper jedoch einfach Cronenberg zuzuschreiben ist nicht ganz unkritisch. Zwar führt er Regie, angekündigt wird das Werk jedoch als eines von seinem Stammkomponisten Howard Shore, das Libretto wiederum stammt von David Hwang (der mit Cronenberg schon bei M Butterfly zusammengearbeitet hat). Ähnliches sagen ließe sich allerdings über jeden Film Cronenbergs, der seit Jahren mit dem immer gleichen Team arbeitet und viele weitere seiner Stamm-Mitarbeiter ebenfalls in die Produktion der Oper eingebunden hat. Etwas vorsichtiger formuliert, vermittelt die Pariser Fliege auch in den Passagen, in denen sie deutlich vom Plot der Filmvorlage abweicht, treffend die Atmosphäre eines David Cronenberg – Films.

Und die Abweichungen sind zahlreich, was sich schon an der Struktur ablesen lässt: Die Oper ist in zwei Akte unterteilt, jeweils etwa eine Stunde lang, mit einer Pause direkt nachdem sich der Wissenschaftler Seth Brundle zum ersten Mal teleportiert hat und unwissentlich mit einer Stubenfliege verschmolzen ist. Akt eins umfasst damit nur etwa 30 Minuten des Films, während im zweiten Akt eine Stunde Oper einer Stunde Film entspricht. Das, schon jetzt einmal vorweg, schlägt sich im Tempo nieder; während sich die erste Stunde eher getragen entwickelt, springt das Stück im zweiten Teil nur so durch die Handlung.

Vor Ort hatten wir erfahren, dass die Premiere wider erwarten nicht ausverkauft war und wir deswegen Restkarten für gerade mal 20 Euro an der Abendkasse hätten bekommen können. Dafür waren unsere 120€-Luxusplätze aber auch erstklassig (1. Balkon, Reihe 1, mittig).

Wenn sich der Vorhang hebt, setzt das Thema aus Howard Shores The Fly – Soundtrack von ’86 ein. Atmosphärisch orientiert sich Shore, das war abzusehen, am Material der filmischen Vorlage, und auch darüber hinaus bietet die Musik keine Überraschungen. Die Oper klingt so, wie man es von Shore erwarten würde: modern, minimalistisch an Melodien, dunkel.

Das Bühnenbild ist Brundles Labor, überall sind Maschinen zu sehen, eine Computerkonsole, die gleichzeitig Brundles Klavier enthält – eine im Bezug auf die Handlung geradezu prophetische Kombination von Wissenschaft und Kunst in einer Maschine – , und natürlich die Telepods, die von Brundle erfundenen Teleportationskammern. Doch während diese im Film an riesige Fliegeneier erinnerten, ähneln sie nunmehr übergroßen Computermonitoren aus längst vergangenen Science Fiction – Zeiten, nicht unpassend, bedenkt man dass Die Fliege ursprünglich eine Kurzgeschichte aus den 50er Jahren war. Dieser Retro-Look aber ist keineswegs nur eine Referenz – eher handelt es sich um ein durchdachtes Update. Während 1986 die Genetik ein relativ neues Feld war, dessen Thematisierung ein Remake des Films rechtfertigte, so reflektiert das neue Design der Telepods die Ankunft des digitalen Zeitalters. Menschen werden an einem Computer in digitale Daten zerlegt und an einem anderen wieder zusammengesetzt. Dies ist Die Fliege im Zeitalter des Internets.

Nicht zuletzt dieser postmoderne Zugang zur Inszenierung ist es, der die Oper spannend gestaltet: Die Kenntnis des Films, geschaffen von exakt demselben Team, das auch bei dieser Inszenierung federführend gewesen ist, erzwingt eine Konzentration auf die gegenüber der Filmfassung getroffenen Veränderungen und ihrer möglichen Intention. Viele Aspekte des Films wurden auf die eine oder andere Weise modifiziert, die Anteile der Veränderungen zum Positiven und Negativen halten sich dabei in etwa in der Waage. Zunächst ist die Oper als Rückblick erzählt. Sie beginnt mit Ronnie, die von einer Polizistin befragt wird, wenige Stunden nach Brundles Tod, und blendet dann zu der Party, auf der er sie, leicht alkoholisiert und entsprechend übermütig, angesprochen hat. Während der Film es der Interpretation überließ, wird in dieser Version klar zum Ausdruck gebracht, dass Brundle nur aufgrund seiner Einsamkeit trinkt – eine eher subtile Veränderung, die aber deutlich zum Drama beiträgt. Von da an folgt die Oper im Wesentlichen den

Stationen des Films, unterbrochen nur gelegentlich von Ronnies retrospektiven Kommentaren in der Gegenwart. Diese Fokussierung auf Ronnie fällt zu Ungunsten der Entwicklung des Liebesdreiecks zwischen Brundle, Ronnie selbst und ihrem Exfreund Stathis aus. Eine kritische Entscheidung, ist doch das Beziehungsgeflecht dieser drei Figuren der dramaturgische Motor der Filmversion. Hier aber ist Stathis‘ Charakter unterentwickelt, denn während er im Film zunächst durchaus bedrohlich wirkt und am Ende zum tragischen Helden gerät, durchläuft er in der Opernversion keine solche Entwicklung und bleibt nichtssagend. Bezeichnend ist eine neue Szene, in der ihn mehrere seiner Mitarbeiter über Brundles akademischen Hintergrund informieren. Diese Szene trägt nicht zum Charakter von Stathis bei, wohl aber zu dem von Brundle, obwohl dieser nicht einmal anwesend ist – Stathis ist, und das wird am Ende des Stücks entscheidend sein, keine ernsthafte Konkurrenz für Brundle. Brundle seinerseits wird, nachdem er durch die Telepods gegangen ist, zum „neuen Fleisch“. Auch das ist eine Neuerung, denn während „The New Flesh“ geradezu eine Redewendung ist, die man mit dem Werk Cronenbergs verbindet, so stammt sie doch ursprünglich aus seinem Videodrome. „All hail the New Flesh“ ist es aber nun, was der Chor immer und immer wieder singt. Viel Zeit wird darauf verwendet, das Neue Fleisch in Abgrenzung vom Alten Fleisch zu definieren. Unter anderem bedient sich die Oper dafür Marky, dem Armdrücker. Sein Duell mit Brundle wird präsentiert als ein Kampf zwischen alt und neu, den Brundle, genau wie im Film, gewinnt (mit einem blutigen Make Up – Effekt auf der Bühne). Doch während die Figur im Film nur ein Erzählwerkzeug ist, mit Hilfe dessen Cronenberg Brundles Stärke demonstriert, bekommt sie hier einen kompletten biographischen Hintergrund samt einer ausufernden Szene. Marky kniet auf dem Boden der Bar, hält seinen gebrochenen Arm und lässt alle Hoffnung fahren, als er erkennt, dass seine Zeit, die des Alten Fleisches, vorbei ist. An sich eine gute Szene, die aber erzählerisch letztendlich überflüssig ist, weil die inszenatorische Absicht auch ohne diesen Epilog zum eigentlichen Duell deutlich gewesen wäre, und weil danach zwar weiterhin auf das Alte Fleisch, nie mehr aber auf die Figur Marky Bezug genommen wird.

Wie kreischende Teenager (nur ohne Gekreische und mit schütternem Haar) haben wir nach der Premiere am Künstlereingang gewartet. Ergebnis: Sowohl Cronenberg als auch Shore (und auch Dirigent Placido Domingo, auf den sich die zahlreich wartenden Matronen stürzten) sind sehr nette, coole Typen, die alles unterschreiben, was man ihnen hinhält – sofern man sie in der richtigen Stimmung erwischt. Als Cronenberg am nächsten Abend ankam, fotographierte er die vielleicht zehn wartenden Fans, murmelte „Entschuldigung, ich arbeite hier nur“ und verschwand hinter der Absperrung. Während er auf den Aufzug wartete, machte er wie irre Fotos von einem Betonpfeiler und den Aufzugtüren. Keine Ahnung, ob er da parodieren wollte, was er in uns gesehen hat (allerdings hatte sich keiner der Wartenden aufgeführt wie ein hysterischer Paparazzi), oder ob das einfach ein originärer Anflug von Seltsamkeit war.

Nichtsdestotrotz ist das Konzept vom Neuen Fleisch im Kontext von The Fly bestechend. Es führt zu einer Betonung der positiven Aspekte von Brundles Transformation, was wiederum in deutlich mehr Fallhöhe resultiert, wenn dann schließlich die Brundlefliege das Heft übernimmt. Eine weitere großartige Idee ist, die Fliege in Brundles DNS zu einer Kreatur „dying to be born“ zu machen. Dies ist eine der zentralen Zeilen der Oper, und sie trifft den Nagel auf den Kopf. Brundles Fusion mit der Fliege ist der Moment, in dem er zum Neuen Fleisch wird, zu einem wahrhaftig lebendigen Wesen. Gleichzeitig aber setzt dieses Ereignis eine Kettenreaktion in Gang, die letzten Endes zu seinem Tod führt. Die letzte Konsequenz der Geburt ist der Tod, und Sterblichkeit ist ihre Grundbedingung. Diese Verbindung ist so unzerstörbar wie die Brundles mit der Fliege, und sie abstrahiert die Handlung endgültig von spekulativer Science Fiction hin zu einer Allegorie über Leben und Tod.

Die Verwandlung in die Brundlefliege ist auf eine theaterübliche Weise gelöst: Ein halbtransparenter Vorhang verschließt den Blick auf die Bühne und die Stimme des Computers (der Chor) fasst die wesentlichen Ereignisse zusammen. Zu sehen ist Brundle in verschiedenen Stadien der Mutation, spektakulär inszeniert durch eine Kombination aus geschickter Lichtsetzung, Make Up – Effekten, Ganzkörperanzügen und schauspielerischem Können. Als Brundle Ronnie kidnappt, bevor sie ihr gemeinsames Kind abtreiben kann, kriecht er sogar an der Decke entlang.

Das Finale ist, man muss es leider so sagen, enttäuschend. Das schlecht entwickelte Beziehungsgeflecht zwischen den drei Hauptfiguren macht sich spätestens hier unangenehm bemerkbar. Es gibt keine Konfrontation zwischen Brundle und Stathis. Wozu auch, wurden sie doch nie konsequent als Rivalen gezeigt. Weder bettelt Ronnie um Stathis‘ Leben, noch bittet Brundle sie am Ende darum, erschossen zu werden. Die innere Zerrissenheit der Figuren geht damit vollkommen unter. Derart auf Oberflächlichkeit reduziert, mutet dieses Ende an wie das eines B-Movies aus den 50er Jahren, wie eine bloße Referenz, passend zum Bühnenbild mit all seinen blinkenden Lichtern und altmodischen Computern. Überhaupt drängt sich gelegentlich der Eindruck auf, Cronenberg sei, eben wie bei der Produktion eines preisgünstigen Exploitationfilms, auf spektakuläre Schauwerte aus gewesen. Die an der Decke laufende Brundlefliege, Markys Armwunde oder auch Ronnies Albtraum, in dem sie eine riesige Made gebiert: all diese (ausnahmslos sehr gelungenen) Effekte wirken auf der Opernbühne wie deplazierte Rummelplatzattraktionen. Natürlich ließe sich eine direkte Verbindung zum ja ebenfalls in Paris beheimateten Grand-Guignol-Theater ziehen, das mit seinen Inszenierungen Einfluss auf den amerikanischen Splatterfilm und somit teils auch auf Cronenbergs Werk genommen hat. Hier aber funktionieren die Effekte nicht als Höhepunkte, vielleicht auch, weil sie sich zu sehr auf der riesigen Opernbühne verlieren.

Yay!

Immerhin bietet die Oper durch die Rückblendenstruktur noch einen Epilog (der auch der Grund für diese grundsätzliche strukturelle Umstellung gewesen sein dürfte), der darüber aufklärt, was nach Brundles Tod mit der noch immer schwangeren Ronnie geschieht (The Fly II von 1989 erzählt zwar die Geschichte ihres Sohnes, entstand allerdings ohne Zutun Cronenbergs): Sie erklärt der Polizistin, dass sie Brundle nicht endgültig sterben lassen will und sich deshalb dafür entschieden hat, das Kind auszutragen – Das Neue Fleisch ist gekommen, von euphorischen Chören gefeiert wie die Geburt eines Messias. Ein Schluss, der angesichts der neu eingeführten Elemente konsequent ist, aber das menschliche Drama vermissen lässt, das den Film noch auszeichnete, und deshalb eher intellektuell als emotional funktioniert.

Was nun weiter mit der Bühnenversion geschehen wird, ist ungewiss. Den fünf Aufführungen in Paris im Juli folgten zwar fünf weitere in Los Angeles im September des selben Jahres, weitere Inszenierungen sind zurzeit aber nicht geplant. Howard Shore selbst sagte nach der Premiere, dass es noch nicht klar sei, ob die Musik auf CD veröffentlicht würde (von einer DVD-Auswertung ganz zu schweigen). Nachdem die Oper im August 2008 aber im französischen Radio gesendet wurde, existiert offensichtlich zumindest eine Tonaufnahme. Es wäre bedauerlich, wenn dies alles wäre, denn ein lohnendes Erlebnis ist The Fly – The Opera für Kenner der Cronenbergschen Filmographie trotz einiger Schwächen allemal – ganz davon abgesehen, dass schon die Idee dem Werk einen Platz im Kuriositätenkabinett der Filmgeschichte sichern dürfte.

Bonus für Komplettisten

Am Tag nach der Premiere präsentierte Cronenberg im selben Theater ein Double Feature mit dem originalen The Fly von 1958 und seinem Remake. Das hier war seine Ansprache vor dem Film (Das Videomaterial stammt mehrheitlich vom Youtube-User magnogrisanti. Sein Mitschnitt ist allerdings nicht vollständig, weswegen ich Anfang und Schluss mit dem krumpeligen Pixelbrei aus meiner Handykamera ergänzt habe – die Qualität wird nach den ersten zwei Minuten deutlich erträglicher):




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