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Der Turmbau zu Pjöngjang – Wie die Nordkoreaner mal das höchste Hotel der Welt errichten wollten

In der Bibel bauen die Babylonier einen Turm, der bis zum Himmel reicht, und werden deswegen von Gott gestraft. Der „Himmel“ ist in diesem Kontext wohl durchaus theologisch zu deuten, und das Babelturmprojekt wäre demnach als eine Art Stairway To Heaven gedacht gewesen, durch den sich die Babylonier mit Gott auf Augenhöhe bringen wollten (Warum sie Jehova herausfordern sollten, obwohl sie doch eigentlich den Stadtgott Marduk anbeteten, wissen wohl nur die Bibel-Autoren, aber egal).

Jetzt mag es dem aufgeklärten, säkularen und tendenziell atheistischen Weltbürger von heute klar sein, dass das so vermutlich nicht funktioniert hätte, zumal der historisch nachgewiesene Turm keine hundert Meter hoch war, was nach den Maßstäben des damals Erreichbaren zwar sehr ordentlich, aber keinesfalls Weltwunder-Niveau, geschweige denn Götter-Niveau gewesen ist. Immerhin aber stand oben drauf ein amtlicher Tempel, und so steht zu vermuten, dass das ganze Vorhaben aus der Perspektive des durchschnittlichen, götterfürchtigen Mesopotamiers um das Jahr 700 vor unserer Zeitrechnung sinnvoll und wichtig gewirkt haben muss.

Springen wir nun knapp 2700 Jahre nach vorne und 7000 Kilometer gen Osten, zu einem anderen, ungleich weltlicheren Bauwerk in Nordkorea, bei dem der vermeindliche Plan der Babylonier, das Göttliche durch Menschenhand nachzubilden, tatsächlich umgesetzt wurde, wenn auch nur im Sinne von gottgleichen, allerdings hundertprozentig handgemachten Katastrophen:

Das Ryugyong-Hotel in Pjöngjang ist eine dreiseitige, 330 Meter hohe Pyramide, die auf 105 Stockwerken 3000 Zimmer und sieben Drehrestaurants bietet. Schick, oder?

Sieht wohlwollend auf Nordkorea herab: Babel-Gott Marduk.

Während man in Babylon noch den Glauben vorschützen konnte, um ein eigentlich ja bescheuertes Bauvorhaben wie den erwähnten Tempelturm zu rechtfertigen, ist so etwas wie das Ryugyong-Hotel nur in einer Gesellschaft denkbar, in der man nicht auf Rechtfertigungen angewiesen ist. Jedem Nordkoreaner, der sie noch alle beieinander hatte, muss auch schon bei Baubeginn 1987 klar gewesen sein, dass das ganze Projekt eine völlig idiotische Idee war, denn: Wofür braucht ein Land, das sich von der Außenwelt abriegelt und das für Touristen ohnehin nicht so unbedingt attraktiv ist, weil man jederzeit damit rechnen muss, als Spion verhaftet zu werden, wofür braucht so ein Land ein Hotel mit 3000 Betten? Wer soll da übernachten?

Laut einem NK-News-Artikel kommen etwa viertausend Touristen jedes Jahr aus dem westlichen Ausland nach Nordkorea, immerhin ein paar Zehntausend weitere aus dem asiatischen Raum. Nun bin ich kein Hotelfachmann und vermute, dass die wenigsten Hotels eine ganzjährige Auslastung von 100% haben, aber selbst wenn wir mal davon ausgingen, dass das Ryugyong-Hotel die einzige Absteige des Landes wäre, dann glaube ich kaum, dass der komplette Besucherstrom nach Nordkorea (sowie innerhalb des Landes) ein Volumen von theoretisch 1.095.000 Übernachtungen jährlich (mindestens 3000 Betten x 365 Tage) auch nur annähernd ankratzt. Selbst wenn ich da die staatlich verordneten Reiseführer addiere (die die ausländischen Besucher auf Schritt und Tritt verfolgen und sicher stellen, dass man nur mit regimetreuen Untertanen redet und nicht die vorgeschriebenen Reiserouten verlässt), ist das eine Rechnung, die unmöglich aufgehen kann.

Nichtsdestotrotz ist der Laden in der Liste der höchsten Gebäude der Welt noch immer auf Platz 49 (und als die Planungen begannen, war es das höchste Hotel und das immerhin fünfthöchste Gebäude der Welt und ist bis heute das höchste in ganz Nordkorea) und offenbart damit seine ganz offenkundige, eigentliche Funktion als Status- und Phallussymbol für den damaligen Oberkoreaner Kim Jong-il.

Symbolfoto

Die offizielle Lesart ist natürlich, dass man mit dem Bauprojekt ausländische Investoren anzulocken versuchte, und selbstverständlich strömten die wohlhabenden Interessenten nur so nach Pjöngjang, um ihre Millionen einer Regierung in den Rachen zu werfen, die die Enteignung des Kapitals zur Staatsdoktrin erhoben hat, und die der ganzen Welt als eine Bande von geistesgestörten Kriminellen gilt, sprich: der einzige, absolut allereinzigste Sinn dieses Gebäudes bestand immer nur darin, Kim Jong-ils staatstragende Potenz zu preisen. Und das hat nicht so wirklich geklappt, denn so sah das Ryugyong-Hotel bis vor ein paar Jahren noch aus:

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Die Einweihung sollte ursprünglich anlässlich der 13. Weltfestspiele der Jugend und Studenten stattfinden – 1989. Das ging aber irgendwie schief. Als 1992 Lebensmittel- und Elektrizitätsknappheit über Nordkorea hereinbrachen, war das schicke Hotel noch immer nicht fertig (sonst hätten die Arbeiter und Bauern darin wenigstens komfortabler verhungern können), fraß aber jedes Jahr geschätzte zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts. Also machte man etwas, das zumindest irgendwie konsequent war: Man ließ alles stehen und liegen und wartete erst mal ab. Auf dem Dach rostete noch ein Baukran vor sich hin, entweder, um geschäftige Betriebsamkeit vorzutäuschen, oder weil es zu viele Ressourcen gekostet hätte, das Ding runter- und irgendwann später mal wieder raufzubekommen. Sechzehn Jahre lang blickten die Pjöngjanger jeden Tag auf diesen unübersehbar großen, unvollendeten Betonpickel, der von so staatstragender Bedeutung ist, dass die Regierung lieber daran werkeln ließ, anstatt sich um eine vernünftige Infrastruktur zu kümmern, die vielleicht verhindert hätte, dass während der Hungersnot geschätzte zehn Prozent der nordkoreanischen Gesamtbevölkerung verreckten. Zwischendurch tauchte mal eine EU-Delegation auf, um vielleicht ein paar Millionen springen zu lassen, aber die Experten befanden zu aller Demütigung, das „Gebäude“ weise irreparable Baumängel auf.

Spirituell relevanter als das Ryugyong-Hotel, aber weniger Drehrestaurants

Zu dieser Zeit war der Partei ihr weithin sichtbares Scheitern wohl ziemlich peinlich. Nach allem, was ich gelesen habe, wurde es nicht so gern gesehen, wenn man die Ruine fotografierte, auf offiziellen Stadtkarten war sie dem Vernehmen nach nicht zu finden. Andererseits gab es offenbar Pjöngjang-Touristenführer, in denen das Hotel auftauchte, sogar hell erleuchtet – das aber auch nur, weil die Lichter nachträglich in die Fenster retuschiert wurden.

Erst 2008 passierte auf einmal wieder was: Die ägyptische Investorengruppe Orascom begann damit, das zugige Gerippe zu verglasen. Wahrscheinlich war die Abmachung zwischen den Ägyptern und Kim Jong-il abstruser als man denkt, denn während man auf dem Gebäude Transponder für den sich nach Jahren der Verbote wieder öffnenden nordkoreanischen Handy-Markt anbrachte (Orascom ist unter anderem auch ein Mobilfunkkonzern), schwieg man sich gradezu auffällig darüber aus, ob auch im Innern des Gebäudes gearbeitet würde. 2012 veröffentlichte ein Reiseveranstalter eine Handvoll Fotos des Hotel-Innenlebens, die die bisherigen Vermutungen bestätigten: das Hotel ist weiterhin ein Rohbau, und die Glasfassade war nur eine kosmetische Korrektur. Das hielt die nordkoreanischen Verantwortlichen nicht von dem Versuch ab, das Hotel der Kette Kempinski anzudrehen, die aber dankend ablehnte, was jetzt eigentlich niemanden mehr überraschen sollte.

Was bleibt also, bald dreißig Jahre nach Baubeginn? Das Ryugyong-Hotel wird immer wieder in Listen der hässlichsten, düstersten und unheimlichsten Gebäude der Welt geführt. Mehrfach habe ich Kommentare gefunden, die das Ding beschreiben als das irdische Bauwerk, das dem Todesstern atmosphärisch am nächsten kommt. Wie das Hotel bei den Nordkoreanern ankommt, ist zwar nicht bekannt, so die Bevölkerung allerdings nicht vollständig einen an der Waffel hat, kann man es sich denken. Immerhin aber hat Kim Jong-il den Menschen in Pjöngjang eine der kuriosesten Attraktionen dieses Planeten geschenkt:

(Quelle: Google Maps)

Die vielleicht größte Sonnenuhr der Welt.




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