Ein virtueller Vergnügungspark mit Cartoons, Comics, altem Spielzeug, Genrefilmen und Texten über pixelige Videospiele, und über Verrückte.

Wenzel Storchs „Komm in meinen Wigwam“

Berthold Lutz war mal einer der meistgelesenen deutschen Autoren. Heute ist er beinahe vergessen, denn Lutz, seines Zeichens Jugendkaplan, schrieb sich ab den 50er Jahren mit Dutzenden von Aufklärungsbüchern quasi zum Dr. Sommer für Messdiener empor. Bücher wie „Die leuchtende Straße“ oder „Das heimliche Königreich“ erklärten dem Jungvolk die Sache mit den Blumen und Bienen (und zwar genau so), waren aber spätestens ab den 70ern derartig vom gesellschaftlichen Wandel überholt, dass die Kirche sie peinlich berührt aus dem Kanon strich – darunter auch solche Kracher wie „Peter legt die Latte höher – ein Buch für Jungen zum Größerwerden“, ein Titel, der einen ahnen lässt, wie unglaublich naiv Lutz an die Sache heranging. Jahrzehnte später entdeckte der Filmemacher und Autor Wenzel Storch diesen Schatz an unfreiwilliger Komik und beschloss, dem von der Kirche verstoßenen Aufklärer mit Komm in meinen Wigwam, seinem ersten Stück am Theater Dortmund, ein Denkmal zu setzen.

Phallussymbole

Wenzel Storch, umgeben von Phallussymbolen.

Storch, dessen Werk hier schon ein paar Mal Thema war, wurde einer breiteren Öffentlichkeit zuerst durch seinen Debütfilm Der Glanz dieser Tage (1989) bekannt, in dem er den Katholizismus mit seinem Prunk und seinen Ritualen zugleich feierte und karikierte. Das Thema flackerte auch danach in seiner Kunst immer wieder auf, mal mehr, mal weniger intensiv. 2010 schließlich huldigte er erstmals Berthold Lutz mit einer sechsteiligen Artikelreihe für die konkret, die nun die Vorlage für Komm in meinen Wigwam gewesen sein dürfte. Das Stück wirkt dann auch erst mal wie einer dieser konkret-Artikel – es ist ein sprachlich charmantes Sperrfeuer aus kuriosen Fundstücken, Textstellen und Anekdoten – , nur mit verschiedenen Rollen vorgetragen. Da sind ein jovialer Moderator (Ekkehard Freye) und ein junger Experte (Thorsten Bihegue), beide in ausgesucht scheußlicher Kleidung, dann ein greiser Kaplan (Heinrich Fischer) und ein Junge und ein Mädchen (Leon Müller und Jana Lawrence) im schwierigen Teenager-Alter. Gemeinsam führen sie durch eine Collage aus Versatzstücken aus den Büchern von Lutz, untermalt von auf eine Leinwand gebeamten Buchcovern und Ausrissen aus Messdiener-Magazinen und ähnlichem Quatsch. Die dafür betriebene Recherche muss gigantisch gewesen sein und spiegelt sich in der Art der Umsetzung wider: Wann immer es der Stoff hergibt, wird irgendein fantastisches Requisit, Kostüm oder Bühnenbild herbeigezaubert. Der Aufwand, der teils für nur eine einzige, kurze Szene betrieben wird, wäre auch für Inszenierungen mit größerem Budget noch beeindruckend. Komm in meinen Wigwam steht darin Wenzel Storchs Ausstattungsfilmen in nichts nach, und auch ansonsten trägt das Stück klar die Handschrift seines Autors; es ist eine Collage von allem, was das Thema hergibt, vorgetragen mehrheitlich von Laien (die einen blitzsauberen Job machen) und so surreal aufbereitet, wie ich Theater noch nie erlebt habe.

PiaMariaMackert

Pia Maria Mackert (Ausstattung und Kostüme) mit einem Requisit, das im Stück für ungefähr fünf Sekunden zu sehen ist.

Das Stück hat allerdings auch die selbe Eigenart, die schon Storchs Filme für viele sperrig und anstrengend wirken lässt, denn eine Geschichte wird nicht erzählt. Denkt man erst noch, Komm in meinen Wigwam würde sich chronologisch an Lutz‘ Büchern entlanghangeln, so springen die Moderatoren schon bald sorgenfrei durch die Jahrzehnte, meint man dann, einen roten Faden entdeckt zu haben in der einem der Bücher entlehnten Geschichte eines Jungen, der einen Kaplan und dessen Knabenschar trifft und im Laufe eines Sommers zum Katholiken umprogrammiert wird, spielt das nach ein paar Szenen keine große Rolle mehr, weil grade irgendwas anderes interessant ist.

Das ist hier allerdings auch völlig gerechtfertigt, denn was speziell Lutz‘ Bücher auszeichnet, so wird uns erklärt, ist, wie diese zwischen Predigt, Handlung und Sachbuch oszillieren, abhängig davon, welche Figur der Autor grade sprechen lässt, ob es ein alter Pfarrer ist oder ein Onkel eines Jungen oder Lutz selbst, der immer wieder gerne irgendeine krude Analogie genutzt hat, um dem jugendlichen Leser einen fröhlichen Schwank aus seiner Zeit als Bomberpilot an der Ostfront nahe zu bringen. Insofern ist das Stück perfekt auf die Vorlage zugeschnitten, denn nichts anderes macht Komm in meinen Wigwam mit seinem auf verschiedene Sprecher verteilten eigentlichen Erzähler Wenzel Storch auch – es ist der explizit angekündigte „bunte Abend“, eine assoziativ aufgebaute Nummernrevue, die nichtsdestotrotz noch stimmig wirkt, weil sie nah am einmal etablierten Thema bleibt, weil die einzelnen Episoden allesamt sehr kurzweilig sind und weil sie vom zugrunde liegenden Material lebt, das einen schlichtweg fassungslos stimmt. In einer Montage werden irgendwann nur noch die Cover von verklemmten Traktaten, debilen Sachbüchern und frömmelnden Räuberpistolen auf die Leinwand geballert, bis man beklommen kapiert, dass Storch mit den Büchern von Lutz nur einen winzigen Ausschnitt einer riesigen extremistisch-katholischen Parallelgesellschaft präsentiert, die es im Deutschland vor 1968 wirklich gegeben hat.

Wenn man denn unbedingt etwas bekritteln möchte, dann, dass Storchs Obsession mit den immer wieder gleichen Themen ihn dazu verleitet, altes Material aufzuwärmen. Der mehrminütige Filmausschnitt aus Der Glanz dieser Tage wäre nicht nötig gewesen, ist aber auch nach 25 Jahren gut genug, um nicht zu stören.

Es wird spannend zu sehen sein, ob Komm in meinen Wigwam eine einmaliger Ausflug Storchs ins Theater bleibt, oder ob er, genau wie zuvor Jörg Buttgereit mit Stücken wie Green Frankenstein oder Der Elefantenmensch, eine zweite Heimat am Theater Dortmunder finden wird. Wünschenswert wäre das, denn das zehnjährige Filmemach-Verbot, das Storch sich nach der zermürbenden Produktion von Die Reise ins Glück 2004 selbst auferlegt hatte, hat er gerade um weitere zehn Jahre verlängert.

PS: Es gibt eine Szene, in der sich ein Kirchenmann einen Ringkampf mit einem Krokodil liefert. Hingehen, unbedingt hingehen!

Termine: 03.12., 12.12. und 14.12., weitere Termine ab Januar folgen.
Karten unter 0231 – 50 27 222



Ähnliche Beiträge


Ein Kommentar

1) Überbleibsel | Zurück in Berlin

9. Januar 2015, 16:55

[…] Theaterprojekt machen: Katholische Sexualaufklärung aus den Siebzigern? Warum nicht, ab auf die Bühne! Dorthin gehört auch Gregor Keuschnigs Schmierenkomödie Zapfenstreich, die es bisher nur in […]

Kommentieren