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Der König der Kannibalen

Großes, wunderbuntes Doppel-Review! Da Dirk M. Jürgens und ich damals schon den ersten Spielfilm von P.S.Y.C.H.O. Productions gemeinsam gesichtet hatten, kommt ihr auch hier wieder in den Genuss zweier Meinungen zum selben Werk, einmal hier, einmal drüben beim Buddelfisch. Ich mache den Good Cop, Dirk den Bad Cop, vermutlich aber hat keiner von uns Recht, denn die Wahrheit liegt bekanntlich immer dazwischen, und es gibt ja immer nur eine richtige, wahre Wahrheit.

Mit dem deutschen Amateurfilm verbindet mich eine Hassliebe. Dass es da Leute gibt, die unter großem Aufwand und persönlichen Entbehrungen losziehen, um ohne ein nennenswertes Budget im Rücken Spielfilme zu drehen, das sollte einem eigentlich Respekt oder gar Bewunderung abringen, oder einen zumindest interessieren. Leider sieht die Realität haarsträubend banal aus, denn mit der romantischen Vorstellung vom Underdog, der am Schweinesystem vorbei sein eigenes Ding durchzieht, haben die Filme, die diese Szene dann abliefert, in der Regel nichts zu tun. Das gigantische subversive Potential wird verschenkt zugunsten des x-ten Abklatschs von Saw oder gar Freitag der 13., denn da sind keine filmischen Visionäre am Werk, sondern meistens doch eher Horrorfans, die stockkonservativ nachzubauen versuchen, was sie gut finden, ohne irgendeine eigene Idee einzubringen.

Grade deshalb fanden Dirk und ich seinerzeit Das Geheimnis der Zauberpilze von der Gevelsberger Crew P.S.Y.C.H.O. Productions interessant, einen Film, der alles andere als gut war, aber eben auch anders als alle Anderen: eine technisch saubere, wenn auch inhaltlich verunglückte Splatterkomödie, die aber mal nicht in die immer gleiche Kerbe schlägt (Dirk und ich fanden den Film damals, trotz aller Kritik, so bemerkenswert, dass wir den P.S.Y.C.H.O.s für die noch immer nicht gedrehte Fortsetzung Der Fluch der Zauberpilze eine Überarbeitung des Drehbuchs geschrieben haben). Jetzt, sechs Jahre später, ist der nächste Film der beiden Jungs mit den klangvollen Künstlernamen Master W (Werner) und Crippler Chris (Christian) da: Der König der Kannibalen. Beim Titel sowie den ersten Bildern und Trailern gingen bei mir eigentlich schon alle Lichter aus. Ein Wald-und-Wiesen-Menschenfresserfilm mit viel Gekröse – das kann eigentlich nicht gut gehen, oder?

Tatsächlich zieht sich die erste halbe Stunde des Films ziemlich, denn wie in jedem Amateurfilm gibt es viel zu viele planlose Gespräche von Menschen auf Couchmöbeln (Dass Rassismus nicht automatisch lustig ist, nur weil er von einem Schwarzen kommt, macht es nicht besser, aber das ist mein persönliches Problem und muss niemandes sonst sein). Dann aber kommt der Film langsam in die Gänge. Die verworrene Komödie hier nacherzählen zu wollen, wäre allerdings ziemlich zwecklos, denn die Macher verweisen fröhlich auf ihr Gesamtwerk. P.S.Y.C.H.O. Productions haben über die Jahre ein komplettes filmisches Universum aufgebaut, in dem sich alle Filme irgendwie aufeinander beziehen, und mindestens den Kurzfilm Der letzte Kannibale sollte man gesehen haben, um den Inhalt von Der König der Kannibalen nachvollziehen zu können (wie uns netterweise auch eine Einblendung zum Filmbeginn mitteilt). Damit schießt man sich leider ins eigene Knie, denn den Ballast vergangener Jahre (und Jahrzehnte) dürften außerhalb des Einzugsbereichs der beiden Macher die Wenigsten kennen. Für alle anderen muss der Film vieles umständlich erklären oder unverständlich lassen. Letztendlich geht es um eine Expedition in die Wälder NRWs, auf der Suche nach einem verschwundenen Filmemacher, der im Mischwald-Dschungel einen christlich angehauchten Kannibalen-Kult gegründet hat und Menschenjagd betreibt. Diese Story aber ist nur der Aufhänger für Regisseur Werner, um seine Obsessionen abzufeiern: Ich zumindest kenne keinen anderen Film, dessen übergeordnete Themen gleichermaßen Medialität, Spiritualität, Drogengebrauch und theoretische Physik sind.

Verpackt wird diese sehr individuelle Auswahl mit einer derartigen Lust am Fabulieren, dass selbst die Gore-Szenen nie (wie meistens im Amateurfilm) selbstzweckhaft sind, sondern immer nur Aufhänger für etwas Anderes. Dahinter stecken Mitteilungsbedürfnis und Stilwille, wie ich sie im Homemade-Film schon sehr, sehr lange nicht mehr gesehen habe. Master W ist definitiv kein Horror-Nerd, der auch mal einen voll krassen Blutfilm drehen wollte, sondern jemand, der etwas zu sagen hat und sich dafür als Schablone das Horrorkino aussucht, und das ganz ohne bildungsbürgerliches Getue: Ich habe auch selten einen deutschen Amateurfilm gesehen, der den Zuschauer so souverän abholt. Der König der Kannibalen schafft es mit seiner technischen Kompetenz, mit seinen runden Figuren, seinem Einfallsreichtum in puncto visueller Gags und seiner Selbstironie den Zuschauer zum Komplizen zu machen, und da ist es dann auch völlig egal, wenn Master W (der gleichzeitig auch der Hauptdarsteller ist) in jeder Szene mit einer anderen Frisur zu sehen ist.

Der König der Kannibalen ist somit tatsächlich die Art deutscher Homemade-Film, die ich mir immer wünsche, ein Film, den weder der Mainstream noch die Amateurfilm-Szerne so hätte drehen können. P.S.Y.C.H.O. Productions reihen sich damit ein in den Pantheon der deutschen Homemade-Filmer, die sich nicht mit dem Status „Amateurfilmer“ kleiner machen müssen, als sie es tatsächlich sind. Ich bin gespannt, wie der nächste Film wird (dürfte ja dann ungefähr 2022 kommen), Der König der Kannibalen zumindest steht in einer Reihe mit den Werken von Jörg Buttgereit, Wenzel Storch oder den Gosejohanns. Glückwunsch, Jungs!

PS: Huch, ich werde im Film zitiert! Eine Dialogzeile ist 1:1 aus meiner Kritik zu den Zauberpilzen übernommen.

PPS: Huch, eine der Splatterszenen ist, sagen wir mal, „inspiriert“ von einer Szene, die Dirk und ich für das Drehbuch von Der Fluch der Zauberpilze geschrieben haben, aber mit so viel eigenen Ideen erweitert, dass sie besser ist als unsere Version. Geht schon in Ordnung.




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