Ein virtueller Vergnügungspark mit Cartoons, Comics, altem Spielzeug, Genrefilmen und Texten über pixelige Videospiele, und über Verrückte.

Sputnics „Die Möglichkeit einer Insel“

Man kann dem Theater Dortmund nicht genug dafür danken, Dinge auszuprobieren, die man sich als etablierte Spielstätte erst mal trauen muss. Aktuell läuft dort Michel Houellebecqs Die Möglichkeit einer Insel – vom Künstlerkollektiv sputnic inszeniert in einer Fassung für Film-Geeks.

Die Welt im fünften Jahrtausend: die Menschheit ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die Ozeane sind ausgetrocknet, die letzten Überlebenden haben sich entweder auf den zivilisatorischen Stand von Höhlenmenschen zurückentwickelt oder leben, nur per Netzwerk miteinander verbunden, in gesicherten Wohneinheiten in der Wüste. Wobei das keine einfachen Menschen mehr sind, sondern Neo-Menschen, perfekte Klone aus optimiertem Erbgut, die immer wieder ihre Vorgänger nach deren Ableben ersetzen. In einer dieser Enklaven sitzt Daniel24, die 23. Iteration eines solchen Neo-Menschen, und stöbert in der Lebensgeschichte seines Originals, Daniel, einem Mensch unserer Gegenwart. Der ist einer der erfolgreichsten Komiker unserer Zeit, ein Zyniker für ein zynisches Pubikum, der mit Ende dreißig zum ersten Mal eine erfüllende Beziehung führt. Das aber kann nicht gut gehen, weil beide Seiten gezeichnet sind von schwerer Depression und einer Angst vor der Vergänglichkeit.

Ähnich wie Wong Kar-Wais 2046 oder Darren Aronofskys The Fountain nutzt Die Möglichkeit einer Insel den Science Fiction als eine Schablone, um allegorisch die Gemütszustände des Protagonisten im Hier und Jetzt zu beschreiben: ewiger Stillstand, ohne Chance auf Veränderung, ohne wirkliche Nähe zu anderen Menschen, abgekoppelt von der eigenen Gefühlswelt. Zwar ist die Perspektive, die man hier einnimmt, der Rückblick aus der Zukunft, aber eigentlich ist das nur ein Dreh, der Daniels Hoffnungslosigkeit unterstreicht: Es ist kein „Wenn das so weitergeht, wird es auf diese Weise enden“, sondern es ist völlig unzweifelhaft, dass Daniel Zeit seines Lebens nicht mehr glücklich werden wird.

Die Möglichkeit einer Insel

Von links nach rechts: Bettina Lieder, Andreas Beck, Frank Genser und Merle Wasmuth beim Multitasken.

Man hätte das sicher als konventionelles Theaterstück inszenieren können, stattdessen bekommt man als Zuschauer einen faszinierenden Hybriden aus Theater, Film und eingebautem Making-Of geboten, denn Die Möglichkeit einer Insel ist der meines Wissens nach erste live produzierte Animationsfilm der Welt. Das muss man sich so vorstellen, dass über der Bühne eine Leinwand hängt, auf der der fertige Film zu sehen ist, der unten auf der Bühne gleichzeitig erzeugt wird. Dort stehen vier Leuchttische, über denen Kameras angebracht sind. Vier Schauspieler_innen stehen an diesen Tischen, sprechen alle Rollen und kümmern sich zeitgleich um die Animationen. Allein dass so etwas ohne Pannen über die Bühne geht, ist ein beeindruckendes Lehrstück in Sachen Multitasking.

Als Zuschauer dagegen ist man in den ersten fünf Minuten etwas überfordert von dieser ungewohnten Bühnensituation. Die Augen springen hin und her zwischen dem Geschehen auf der Leinwand, den Schauspielern, den handwerklichen Vorgängen der Animation und den Roboterkameras, die auf Schienen über den Boden rollen. Wenn man sich daran dann gewöhnt hat, ist man als nächstes überwältigt von der überbordenden Kreativität, mit der die Szenen visualisiert werden. Es ist nicht einfach ein Schattentheater traditioneller Bauart, stattdessen kommen auch die Hände der Darsteller zum Einsatz, abgefilmte Modelle, farbige Tinten in einem Aquarium und vieles mehr, alles nach Bedarf auch kombiniert per Videomischer; es ist die Amalgamierug verschiedener Animationstechniken, mit der auch jemand wie Ralph Bakshi immer wieder gearbeitet hat. Aber anders als bei Bakshi, dessen The Lord of the Rings beispielsweise völlig auseinanderfällt, hat sputnic den Willen zu einem übergreifenden Design, der die so unterschiedlichen Passagen eisern zusammenhält. Überhaupt, das Design! Abstrahierende Schattenrisse, traumhaft düstere Landschaftsbilder, eine Zukunftswelt, deren Minimalismus auch ein Stanley Kubrick wohlwollend abnicken würde – das alles wirkt so souverän und erwachsen, so eigen und trotzdem massenkompatibel, dass „stylish“ leider das einzige Wort ist, das mir dazu einfällt.

Die Möglichkeit einer Insel

Das, was da am Ende zu sehen ist, ist kein abgefilmtes Theater, sondern ein vollwertiger Blockbuster mit souveränen Kameraeinstellungen und einem Schnitt, der sich an den Konventionen des Spielfilms orientiert. Er würde auch problemlos ohne das ganze Drumherum funktionieren, gewinnt aber ungemein durch die Live-Atmosphäre und die herausgestellte Gemachtheit. Es ist faszinierend zu beobachten, wie sich die einzelnen Elemente zu einem zusammenhängenden Ganzen fügen und aus Stimmen, Bildern und Handbewegungen eine Geschichte wird. Niemand, für den Kino je mehr war als eine Gelegenheit zum Konsumieren von Popcorn, kann sich dem ohne leuchtende Augen entziehen. Gerade weil man nicht wirklich in allen Details erkennt, wie aus dem geschäftigen Treiben der Schauspieler schließlich bewegte Bilder werden (es sei denn, man sitzt auf dem Balkon), hat Die Möglichkeit einer Insel den Reiz einer Zaubervorstellung. Damit steht das Stück in der Tradition des frühen Kinos, das als Attraktion über Jahrmärkte tingelte und mit einer Bühnenshow verbunden war, und verweist auch mit vielen anderen seiner Elemente auf die Geschichte von Scherenschnitt-Animation, Laterna Magica und Phantasmagorie, die letztendlich im Kino mündete. Jedem, der Theater meistens langweilig findet, aber Filme liebt, sei diese Umsetzung deswegen dringendst ans Herz gelegt, denn weil das Theater Dortmund zwar die Aufführungsrechte am Roman hat, nicht aber die Rechte für etwaige Gastspiele, geschweige denn für eine Weiterverwertung von Videoaufnahmen, wird das die einzige Möglichkeit sein, diese großartige Literaturverfilmung zu sehen.

Termine und Karten (oder anrufen: 0231 – 50 27 222)



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Ein Kommentar

1) Die Möglichkeit einer Insel | Philipp Maike

6. April 2015, 11:17

[…] “(…) hat Die Möglichkeit einer Insel den Reiz einer Zaubervorstellung. Damit steht das Stück in der T… […]

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