Ein virtueller Vergnügungspark mit Cartoons, Comics, altem Spielzeug, Genrefilmen und Texten über pixelige Videospiele, und über Verrückte.

Ulrich Mühl – Das ultimative Interview mit dem Grossmeister des Videospieljournalismus (Teil 1)

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Als ab Mitte der 1980er die Videospielindustrie zu einem Milliardengeschäft heranwuchs, war alles noch brodelndes Chaos. Die Gamer wurden Monat für Monat mit Neuerscheinungen überschüttet, und längst nicht alle davon waren Hit-Material, um es mal vorsichtig auszudrücken.

Prompt schoss mit dem Videospieljournalismus der nächste Markt empor, dessen Aufgabe es war, die Gurken auszusortieren. Um die Gunst der Leser rangelten bald zig Monatsmagazine, von denen sich schnell drei an der Spitze behaupteten: die aus der Happy Computer hervorgegangene Powerplay (ein Multiplattform-Heft, das sämtliche neuen Spiele besprach), der Amiga Joker (der nur Titel testete für Commodores Amiga-Maschinen, die ein paar Jahre unangefochtene Marktführer waren) und der Aktuelle Software-Markt, kurz: ASM (ebenfalls ein Multiplattform-Magazin).

Magazine

Alle drei Zeitschriften hatten was für sich, aber die ASM aber war, trotz des spießigen Namens, das coolste Blatt. Auf den in den Anfangszeiten völlig anarchisch gelayouteten Seiten dieses Hefts gab es teils unverfroren lässige Tests, in denen es gelegentlich nicht darum ging, was das Spiel taugt, sondern zum Beispiel was man während der nervigen Disketten-Ladezeiten so alles nebenbei machen kann. Und die ASM hatte die engste Leserbindung, bedingt durch eine legendäre Leserbrief-Ecke namens Feedback, in der monatelange Diskussionen geführt wurden, und in der regelmäßig Jungs mit sehr, sehr schrägem Humor zu Wort kamen.

ASM-Uli

Aus einem ASM-Editorial von 1990.

Beides, die coolsten Tests und die Betreuung der Leserbriefecke, verantwortete Ulrich Mühl, der in den 80ern als freier Mitarbeiter anfing und die ASM 1993 als stellvertretender Chefredakteur verließ. Für mich kurzen Drops von zehn, zwölf Jahren war er damals ein Held. 2007, mehr als zehn Jahre nach Einstellung der ASM, habe ich diesen meinen Helden interviewt für Kultboy.com, das mittlerweile größte deutschsprachige Archiv für Videospieljournalismus. Ulrich erwies sich als so großartig nett und redefreudig, wie man es sich nur wünschen kann, und er stellte mir obendrein noch einen ganzen Berg an Fotos von damals zur Verfügung, samt überlangen Bildunterschriften.

Der Text ist immer noch in voller Länge auf Kultboy.com zu lesen, falls es jemand gar nicht bis zum nächsten Teil abwarten kann. Für die Veröffentlichung auf Sonderland.org habe ich das Interview in fünf immer noch viel zu große Brocken unterteilt. Auf geht’s:

Da, wo vorne ist

Lukas: Fangen wir mal da an, wo vorne ist: Wie bist Du beim Computerspielen gelandet, wie bei der ASM und warum um Gottes Willen im beschaulichen Eschwege? Und was hast Du vorher so getrieben?

Idylle im Eschweger Land

Ulrich: „Idylle im Eschweger Land“

Ulrich: Ich denke, es wird das Beste sein, den richtigen zeitlichen Ablauf zu berücksichtigen. Das war alles ganz einfach, schlüssig und unschuldig. Dieses (in der Tat recht beschauliche) Eschwege ist mein Geburtsort. Dort verlebte ich meine frühen Jahre, lernte Fahrradfahren etc. Hier lasse ich jetzt ein wenig aus, so Sachen wie auf Bäume klettern, Rasen mähen etc.

Die damals schon zu weit verbreitete Nutzung des Verblödungskastens hatte auch ihre Wirkung auf mich, und so begann meine „Karriere“ mit dem Atari VCS, das wir (mein Bruder und ich) nach langem Bearbeiten meiner Eltern geschenkt bekamen. So spielten wir Frühwerke wie Bowling, Space Invaders etc. Die Sammlung wuchs mit der Zeit, auch um Module von Fremdanbietern (was für ein Verrat an „Captain Atari“, oder wie der hieß! [Anm. von Lukas: So hieß der in der Tat.]), die ja in der Regel bedeutend besser waren als die von Atari selbst.

Wie dem auch sei, es folgte irgendwann die Anschaffung eines Commodore 64 (samt Datasette) durch den größer werdenden Wunsch, nicht nur zu konsumieren, sondern selbst zu entwickeln. Auf dem lernte ich dann BASIC und den 6502-Assembler und fing eifrig an, selbst (mehr oder (in der Regel) weniger gute) Spiele zu schreiben – zuletzt immerhin mit eigener Soundroutine etc. Ganz nebenbei: Hierdurch und den später zunehmenden Konsum englischsprachiger Videos besserte sich immerhin meine Englischnote in der Schule dramatisch!

Compute-mit-CoverZu meinem großen Glück war Eschwege (Oh ja! www.eschwege.de – Die mehrseitige Reportage über meine sicher bald kommende Ernennung zum Ehrenbürger muss wohl durch eine Verkettung tragischer Umstände verfrüht aus dem Netz genommen worden sein…) damals das deutsche Mekka der Computer-Fachzeitschriften. Und so kam es, dass der Tronic-Verlag einige meiner Spiele in der Zeitschrift Compute mit als Listing abdruckte – wodurch ich einen für mein damaliges Alter ungewöhnlichen Wohlstand erzielte. Jedenfalls kam mir das so vor. Das hatte natürlich seine zwei Seiten. Während andere anfingen, in die Disco zu gehen, Cliquen zu bilden und Mädchen kennen zu lernen, saß ich am Computer und tippte vor mich hin. Nichts anderes war mein Wunsch, fand ich doch das aus meiner Sicht unsoziale Verhalten diverser Altersgenossen und die für mich eher unzugängliche, staubige Wissenswelt meiner Lehrer wenig attraktiv.

So kam es, als ich dem Compute-mit-Redakteur Ottfried Schmidt (der spätere „Baller-Otti“ [Anm. von Lukas: ein ASM-Redakteur der ersten Stunde, so genannt wegen seiner Vorliebe für eher erlebnisorientierte Software]) meine neuste Eigenproduktion präsentieren wollte und etwas warten musste, dass mich ein gewisser Thomas Brandt [Nochmal Anm. von Lukas: Ein weiterer ASM-Redakteur ab der ersten Ausgabe] ansprach, ob ich nicht mal Computerspiele testen wolle. Nach einem kurzen Austausch war die Sache klar, und ich wurde freier Mitarbeiter einer neuen, wenig aussichtsreichen Produktion des Tronic-Verlages: Aktueller Software-Markt.

War der Tronic-Verlag Dein erster Arbeitgeber oder warst Du noch irgendwo anders beschäftigt?

Ulrich: „Dies ist eins der Bilder, mit denen die Stadt Eschwege um Touristen wirbt. Wie fast überall geht es Handel und Gewerbe durch die wunderbare Globalisierung dort nicht so toll. Insofern versucht man, durch den Tourismus Einnahmen zu generieren. Durch den Umstand, dass die Natur dort noch relativ intakt ist, klappt das sogar einigermaßen. Jedenfalls hat’s dort jetzt viele Radfahrer. Und mindestens zwei Planwagen, auf denen Herrschaften im Alter unserer Eltern sich heiter einen antrinken. Die aufwändige Retusche zeigt präzise, wie wenig Ahnung ich von Paint Shop habe und ungefähr, wo der Verlag damals war.“

Der Tronic-Verlag war der zweite Arbeitgeber, bei dem ich fest angestellt war. Zuvor hatte ich einen zweiwöchigen Ausflug in die Welt des Industriehandels unternommen („Junge, du musst was Vernünftiges lernen!“). Andere Zeitschriften gab es vorher nicht – mal von den Listings abgesehen.

Du hast auch Layout-Jobs in der ASM erledigt, oder? Was waren sonst noch Deine Aufgaben? Was hast Du als freier Mitarbeiter gemacht, als Redakteur, als stellvertretender Chefredakteur?

Je mehr ich in den Job hineinwuchs, desto vielfältiger wurden die Aufgaben. Als freier Mitarbeiter war ich weitgehend mit Tests befasst – also Software entgegennehmen, abhauen, testen, Test schreiben, Software und Text abliefern (der zum Glück redigiert wurde – ich war oft sehr ehrlich, und mein Stil weit davon entfernt, gut entwickelt zu sein), dann die nächste Software mitnehmen etc. Hinzu kam dann die Unterstützung bei den Screenshots, die damals per Kamera direkt vom Bildschirm gemacht wurden. Irgendwann wurde klar, dass man mich gern nach dem Abitur anstellen würde. So oder so verbrachte ich bereits die meiste Zeit am Rechner oder in der damaligen Redaktion.

Als Redakteur ging die Arbeitsrichtung dann immer weiter vom Spielen weg, hin zu Firmenkontakten, Messebesuchen, Korrekturlesen, Druckabwicklung, Schreiben, manchmal auch Layout, also die Arbeiten, die damals in einer Redaktion eben anfielen. In der ersten Zeit war es so, dass jeder Redakteur seine Beiträge selbst layoutet hat – was das stellenweise sehr… hmm… „kreative“ Layout erklärt. Später bekamen wir dann eine Layouterin, die sich weitgehend um diese Arbeit gekümmert hat.

Als Stellvertretender Chefredakteur setzte sich diese Entwicklung im Grunde genommen fort, erweitert um mehr Planungsarbeit und die Funktion als allgemeiner Ansprechpartner in allen Dingen – neben den ganzen anderen Arbeiten, versteht sich. Das Feedback hatte ich mir ja bis zuletzt nicht nehmen lassen.

Baller-Otti freut sich auf Ihren Besuch

Ulrich: „Der Baller-Otti. War für ein feiner Kerl! Keiner ballerte so wie er. Auch nicht der Volontär, der den Joystick immer falsch rum hielt. Der hatte gedacht, so sei es richtig und hatte sich dran gewöhnt. Da wurde einem beim Zusehen ganz anders…“

Wie sah ein typischer ASM-Arbeitstag bei Dir aus?

Das hängt natürlich von den oben beschriebenen Phasen ab. Ich nehme mal eine der späteren Phasen, als der Tronic-Verlag bereits zum DMV-Verlag umgezogen war. Tja, morgens antanzen, und dann geht’s los. In der Regel war ich eine ganze Weile vor den anderen am Platz. Insofern hatte ich Ruhe, um einige Dinge erledigt zu bekommen. Oft rief die Repro (die erstellten damals die Druckvorlagen bildlicherseits) an, weil es Fragen zum Layout gab. Als Stellvertretender kannte ich damals jede Seite eines Heftes und beantwortete die Fragen meist aus dem Kopf (was kein Witz ist). Danach wurde abgeglichen, wie der Stand des Heftes war. Waren wir also im Zeitrahmen oder nicht? Wenn nein, was musste getan werden, um das zu ändern?

Dann wurde getippt und telefoniert. Manchmal schaffte es tatsächlich ein Leser, sich von der Zentrale durchschalten zu lassen. Dieser landete seltsamerweise in der Regel bei mir. Also geduldig Fragen beantworten und erklären, dass man eigentlich keine Zeit hat, da das nächste Heft ja fertig werden muss. Die Arbeit der Redakteure, der freien Mitarbeiter und des Layouts musste koordiniert und unzumutbarer Unsinn entfernt werden.

Irgendwann war Mittag. Dann gab es etwas Verkohltes und einen Schokoriegel aus der Kantine. Grauenvoll. Im Nachhinein. Damals halt normal. Wenn der Feuermelder anging, brutzelte es bei Frau General Erika. Okay, er ging nicht wirklich an. Was mich wunderte. Vielleicht war er ja kaputt. Nach der nicht wirklich existierenden Mittagspause ging es dann ebenso weiter, gegen Abend waren in der Regel Seiten fertig, die gingen dann per Kurier raus, oder es kamen Seiten zum Gegenchecken etc.

Tja, und so saßen wir oft genug 13 und 14 Stunden am Tag in der Redaktion. Viel Arbeit, wenig Spaß? Später leider ja.

Der Rucksack muss gehen

Ulrich: „Besuch in der Redaktion. Dieser Hippiefreund von Schreibtischnachbar Suck. Sicher ein ganz netter Kerl. Doch was steht der in meinem Bild rum? Na egal. Für die Detailverliebten: In diesem Bild sieht man einiges an Arbeitsmaterial. Links einige Kassetten (!) mit guter Musik. Art of Noise und so. Dahinter Sammelordner mit Heften. Zum Nachschlagen. Rechts eine gute Tastatur. So eine, bei der man noch richtig hört, dass gearbeitet wird. Gibt es nicht mehr. Dahinter eine 5,25“-Floppy-Disk (!!!). Dahinter (oh ja!) der XT. Mit Turbo. Damals arbeitete man monochrom. Bernstein. Links am Monitor Schere (für den händischen Klebeumbruch (=Layout) und ein hochredaktionelles Lineal mit Punktgrößen (=Schriftgrößen). Früher hat man im Lithographenhandwerk den Stift (=frischer Auszubildender) in die Druckerei geschickt, einen Beutel Rasterpunkte holen (Rasterpunktehammer nicht vergessen!). Wir haben der lieben ostdeutschen (das war damals noch besonders) Redaktionsassistenz von unten „Drop“ auf dem Rechner installiert. Wenn man eine Weile tippt, fällt irgendwann der erste Buchstabe runter und bleibt unten liegen. 😀 „

Und wie sah es in den ASM-Redaktionsräumen aus? Weite, lichtdurchflutete Flure, die man nur mit Fahrrädern vernünftig durchqueren konnte oder winzige, fensterlose Kellerräume mit den Überresten mittelalterlicher Folterketten an den Wänden?

Eigentlich wollten wir ja das Kolosseum. Oder den Frankfurter Flughafen. Leider mussten wir uns dann mit recht gewöhnlichen Büroräumen zufrieden geben. Nun, anfangs waren sie recht normal. Dann kamen wir. So wirklich ordnungsliebend und bieder waren die wenigsten von uns. Die Kollegen von den „richtigen“ Computerzeitschriften im Nebengebäude trauten sich nur selten bei uns herein, und wenn, dann stand ihnen meist der Mund etwas offen. Der Flur war noch denkbar kahl, doch in den Redaktionsräumen herrschte ein buntes Durcheinander, und mit schöner Regelmäßigkeit flogen farbenfrohe Metaphern durch die Luft. Wir waren oft sehr direkt. Wir konnte es uns leisten, denn wir hatten trotz allem Erfolg.

Was hat man bei der ASM verdient? Konnte man davon einigermaßen leben?

Wenn ich mich recht entsinne, waren die Gehälter unter Tarif. Doch wenn man noch zuhause wohnt und nur am Wochenende mal was unternimmt, braucht man gar nicht so arg viel Geld. Insofern war sogar immer noch etwas übrig. Fragt sich, ob man das „leben“ nennen möchte. Es war damals mein Leben, die ASM zu machen – so gut es eben geht.

Wie viele Leser hatte die ASM eigentlich zu Spitzenzeiten?

Anfangs gab es im Sommer zwei Doppelausgaben, die verkauften sich noch etwas besser als die regulären Hefte. Ich meine, es wäre irgendwo zwischen 100.000 und 150.000 Heften gewesen. Der Redaktion hat man solche Zahlen nur ungern gegeben. Waren die Zahlen gut, folgten ihnen in der Regel ja Forderungen nach besserer Ausstattung etc.

Ich hab’s grade nicht im Überblick, aber ich glaube, außer Michael Suck war niemand so lange bei der ASM beschäftigt wie Du. Hat sich über all die Jahre die Atmosphäre in der Redaktion verändert? Wie war das in den Anfangstagen, und wie, als Du gegangen bist? Wann war’s am schönsten, wann eher nicht so?

Das kann sein, er war auch sehr lang da. Natürlich ändert sich die Atmosphäre ständig. Mit jedem Mitarbeiter, mit der Chemie zwischen den Leuten, mit Ereignissen im scheinbaren Außen. In der ersten Zeit war die Atmosphäre (aus meiner Sicht) sehr entspannt. Wir hatten viel Spaß, machten auch mal pünktlich Schluss. Da gab es ein Fußball-Endspiel im Testraum, eine Pampelmusenschlacht, fliegende Teebeutel und dergleichen mehr. Ob das „am schönsten“ war, das kommt natürlich darauf an, wie man „schön“ definieren möchte. Diese Zeit war auf jeden Fall am lustigsten.

Später wurde es dann immer mehr Arbeit, was sehr lehrreich war – zuletzt wurde es extrem mühsam, da wir das Heft nicht nur wegen der wachsenden Konkurrenz umbauen mussten, sondern auch intern um unsere Freiheit zu kämpfen hatten. Dennoch war es eine immens wichtige Zeit, die ich unter keinen Umständen missen möchte.

Weiter geht’s in Teil 2 mit einem ganzen Fragenkatalog zu den Spieletests der ASM.




2 Kommentare

1) Ballerotti

8. Oktober 2014, 03:25

Um es genau zu machen: Die offizielle Verkaufszahl war unter Manfred Kleiman bis zu 120.000. Als der weg war, gingen die Zahlen schnell nach unten. Niemand hat je das Team aus Uli Mühl und BallerOtti toppen können – bis heute nicht. 😉

2) Gerry

17. August 2016, 12:06

Über eine Google-Suche nach dem Tronic-Verlag bin ich gerade auf Deiner Website und bei diesem Interview gelandet. Sämtliche Interview-Teile warten zwar noch darauf, von mir ausgedruckt und dann in Ruhe (z.B. im Fitness-Studio) gelesen zu werden, trotzdem schonmal vorab: Vielen Dank für die ganze Arbeit!

Im Retro-Bereich wurden die ASM und ihre Macher IMHO bisher immer etwas vernachlässigt. Gerade die Power Play ist in Form von Beiträgen in Retro-Magazinen und dem Spieleveteranen-Podcast etwas überpräsent – da kommen Deine Beiträge gerade recht.

Ansonsten schaue ich mich hier gerne weiter um, was Deine Website Interessantes zu bieten hat.

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