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Wenzel Storchs „Wenzel Storch – Die Filme“

Normalerweise schreibe ich keine Buchbesprechungen, aber nun liegt ein Rezensionsexemplar von Wenzel Storch – Die Filme auf meinem Tisch, das mir der Martin-Schmitz-Verlag freundlicherweise zugeschickt hat, und das die ideale Ergänzungsliteratur ist zu Wenzels von mir hier bereits bedachten Spielfilmen. Wenn man keine Ahnung hat, wer der Filmemacher und Autor Wenzel Storch eigentlich ist, ist das völlig okay, denn das liegt daran, dass die drei Filme, die der Autodidakt aus Hildesheim zwischen 1986 und 2004 drehte, nicht so erfolgreich in den Kinos gelaufen sind, wie z.B. so ziemlich alles Andere, was Hollywood oder auch nur Deutschland in dieser Zeit produziert haben. Das wiederum dürfte unter Anderem daran liegen, dass diese drei Filme anders sind als alles, was ich je gesehen habe: zerstreute Handlungen, die von seltsamen, teils wild-experimentellen Exkursen unterbrochen werden, surrealistische Bilder, doof-alberner Humor, Dialoge zwischen Märchenbuch und popkultureller Zitatesammlung. Eigentlich wäre Wenzel der ideale Regisseur für eine Verfilmung von Walter-Moers-Romanen, aber das wird die Welt wohl leider nicht mehr erleben.

Wenzel Storch – Die Filme, abgefasst in Interview-Form, unterteilt sich in sechs Kapitel; je eines ist einem der drei Filme Der Glanz dieser Tage, Sommer der Liebe und Die Reise ins Glück gewidmet, die anderen beschäftigen sich mit Wenzels „Spätwerk“ (Hauptsächlich seinen Texten für die konkret), mit seiner Kindheit und mit der Zeit zwischen seinem Auszug aus dem elterlichen Zuhause und dem ersten Film. Vor allem die beiden letzteren sind auf zweierlei Weise grandios: erst einmal sind sie ein Trip in eine bizarre Parallelwelt. Wenzels Kindheit unter der Knute extremistischer Katholiken-Eltern ist vollgestopft mit eigentümlichen Ritualen, Magazinen, Freizeitangeboten und Frisuren, die man in einem aufgeklärten und (zumindest dem Selbstverständnis nach) säkularen Staat eigentlich für unmöglich halten würde. Das zweite Kapitel (nicht umsonst „Die Fahrt ins Delirium“ genannt) setzt noch einen obenauf: Wenzel zieht in ein kommunardenartiges Abbruch-Haus, lebt in den Tag hinein und beobachtet die örtliche Trinker-Szene, die sich jeden Tag von früh bis spät vor dem Kiosk im Erdgeschoss die Kante gibt (Ein nicht unerheblicher Teil dieses Kapitels dürfte den Lesern von Wenzels Homepage bereits bekannt sein. Dort war der Text seit Jahren zu lesen, ist aber nach der Buchveröffentlichung offline genommen worden). Unwahrscheinliche Gestalten, unwahrscheinliche Szenen, und doch alles echt – das Buch enthält hunderte von Bildern, und immer wenn man glaubt oder hofft, dass sich der Maestro nun doch irgendwas zusammenphantasiert, gibt es auf der nächsten Seite ein fotografisches Dokument. Zum zweiten bieten diese Kapitel einen Kontext, der mehr leistet, als es ein Making-Of oder DVD-Audiokommentare könnten (die es, wie ich in meinen Besprechungen der Filme seinerzeit bedauerte, nicht gibt), weil hier nicht nur Anekdoten zu einzelnen Szenen geliefert werden, sondern der Sinnzusammenhang, aus dem heraus die psychedelischen Bilderwelten entstehen konnten.

Wenzel Storch mit eigentümlicher Frisur: eine von über 700 Abbildungen.

Die bezeichnendste Szene ist für mich eine im ersten Kapitel, in der der kleine Wenzel dazu genötigt wird, jeden Abend zum Gebet (inklusive „Fürbitten für die Brüder und Schwestern in der Ostzone“) vor einem Schrank niederzuknien, auf dem eine Maria steht. Neben dieser allerdings thront, mitgebracht aus Afrika von einem Missionars-Onkel, ein Straußenei mit einer „Negermütze“ (Zitat Wenzel), zu dem der Blick beim Beten immer wieder rüberrutscht. Abschweifungen, Katholizismus, krude Exotik, seltsame Ausstattungs-Ideen – alles Elemente, die neben dem Konzept der popkulturellen Collage wichtig für Wenzels späteres Werk sind.

Das zweite Kapitel macht klar, dass die drei Filme nur deswegen als einzeln stehende Kunstwerke wahrgenommen werden, weil sie, einem Grundsatz des Mediums entsprechend, einen Anfang und einen Schluß haben. Entstanden sind sie genauso ziellos und unkoordiniert, wie Wenzel gelebt hat, nachdem er sich aus dem weltfremden Wertesystem der Eltern befreite, und entsprechend muss man eigentlich von einem Gesamtkunstwerk Wenzel Storch sprechen, das eher zufällig Filme hervorgebracht hat – Wenzel ist jemand, der weder von einer Filmhochschule gekommen ist, noch in der von mir kritisch beäugten deutschen Amateurfilmszene rumgehangen hat, sondern der sich aus Scheiß heraus irgendwann dachte, dass es doch lustig wäre, mal Filmemacher zu werden.

Man kann darüber streiten, wie objektiv ein solches Buch sein kann oder will, und ob die Erzählung sich nicht des Spektakels wegen bewusst auf die abgründigen Aspekte von Wenzels Werdegang konzentriert. Nicht, dass ich den Wahrheitsgehalt auch nur einer einzigen Anekdote anzweifle, aber deren Zusammenstellung konstruiert die Figur „Wenzel Storch“ und gibt ihr eine Narration und Kontinuität in einer Weise, die ein solches Buch nun einmal mit sich bringt, und die seinen Filmen eine übergeordnete Sinnhaftigkeit gibt. Man sollte also nicht den Fehler machen, Wenzel Storch – Die Filme als definitives Kompendium zum Thema zu betrachten, denn das Buch verführt zu einer offiziellen Lesart der Filme, die unter Umständen die Möglichkeit verstellt, Wenzels Werk gegen den Strich zu analysieren. Es ist das Angebot einer Interpretation auf der Basis biographischer Details, nicht mehr oder weniger – kein Buch über den Künstler Wenzel Storch, sondern Teil des Gesamtkunstwerks Wenzel Storch und damit (ob das nun Wenzels Absicht war oder nicht) Teil einer Inszenierung.

Der Autor (während der Festival-Tour von „Die Reise ins Glück“ 2004); Foto: Judith Stern.

Dazu passt, dass das Buch zwar eine kontinuierliche Interview-Situation suggeriert, es aber nie klar wird, wer eigentlich Wenzels Gesprächspartner ist. Ein Blick ins Literaturverzeichnis offenbart, dass der Text aus 16 Interviews zusammenkompiliert wurde, die über einen Zeitraum von 18 Jahren geführt wurden, ohne dass noch nachvollziehbar wäre, welcher Textbaustein woher stammt. Wenzel Storch – Die Filme ist also genauso eine Collage, wie es die Filme von Wenzel Storch sind, es besteht aus aus dem ursprünglichen Zusammenhang herausgerupften und neu arrangierten Elementen, die aber ohne den ursprünglichen Kontext von Datum oder Interviewpartner ihren objektiven Informationswert verlieren. Auch wirkt das Buch gelegentlich ähnlich fahrig zusammengestoppelt, wie die Filme: die Textseiten sind nur zu drei Vierteln bedruckt, auf den Fotoseiten sind die Bilder zwar durchgehend numeriert, aber nicht zu allen Zahlen gibt es Erklärungen am unteren Seitenrand, manche stehen einfach nur so da. Teils ist der Text so unglücklich gesetzt, dass ein Satz von einer Bilderstrecke unterbrochen und dann erst 15 Seiten später fortgesetzt wird. Selbst wenn man zugeseteht, dass der Druck eine Unterteilung von Schwarzweiß- und Farbseiten nach einem gewissen System erfordert, hätte das nicht sein müssen.

Das alles ändert nichts daran, dass das Buch ohne Ausnahme großartig, wirklich großartig unterhaltsam ist, vollgestopft mit schrägen Figuren, Geschichten und Abbildungen. Der Kontext von Wenzels Biographie, egal wie inszeniert die nun sein mag, bietet einen möglichen Zugang zu seiner für viele Zuschauer sperrigen Individualkunst, und wenn das dazu beiträgt, sein Werk bekannter zu machen und ihm Türen zu öffnen, will ich nichts gesagt haben.



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Ein Kommentar

1) comicfreak

28. Januar 2014, 11:14

*staun*

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