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Superchristen (Teil 6): Mit der Fleischeslust-Lokomotive in die Hölle

Fleischeslust

Es begab sich aber zu der Zeit, dass ich während eines Bummels in der Kölner Innenstadt an einem Wald aus einschlägigen Jesus-Schildern und -Transparenten vorbeiging. Der einsame bärtige Kauz inmitten dieses frommen Dickichts überreichte mir mit einem gemurmelten „Jahaa, auch für Sie, junger Mann“ eine sechzehnseitige Broschüre (deren Impressum ihn als Wolfgang R. vorstellt – Name meinerseits der Form halber abgekürzt, denn er geht im Netz mit seinen Daten bereitwillig hausieren) mit diesem vielversprechenden Cover:

Mehrerlei Dinge daran sind einigermaßen augenfällig:

– Die schon bekannte Vorliebe missionierender Christen für ein, pardon, heilloses Durcheinander an graphischen Elementen und verschiedenen Schrifttypen
– Das schon bekannte Über-einen-Kamm-scheren verschiedener alltäglicher Aspekte menschlichen Daseins (z.B. Geiz, Satanismus und, gerade für Köln relevant, „Schwulitäten“), denen eigentlich nur gemein ist, dass sie nichts mit Jesus zu tun haben (in diesem Kontext quasi ein dekonstruktivistischer Heiland)
– Der Name JESUS ist öfter auf dem Titelblatt zu finden als das Wort „Sex“ auf dem Cover eines handelsüblichen Tittenmagazins

Auch die Titelzeile ist einigermaßen bemerkenswert, verspricht sie doch eine Lebensgebrauchsanleitung für absolut alles. Welche Art von Leben mag das wohl sein, die sich auf sechzehn Seiten hinreichend erklären lässt? Blättern wir doch direkt mal rein:

Ah. Eine Broschüre, die mich schon im ersten Absatz als mordenden, raubenden, verlogenen, ehebrechenden Sünder beschimpft. Ob da noch Platz nach oben ist?

Herr R. und ich teilen offenbar eine zentrale Überzeugung: Glaube und Verstand schließen sich aus. Nur mit dem Unterschied, dass Herr R. das als Argument FÜR seine Sache sieht.

Je mehr Verstand also jemand hat (vergl. B), desto weniger ist er in der Lage, Gut und Böse auseinanderzuhalten. Diese unmoralischen, teuflischen Intellektuellen! Wenn es doch nur, sagen wir, ein Buch für die bibliophile Bande gäbe, aus dem genau hervorginge, was das eine vom anderen unterscheidet! Leider hat Herr R. keinen Lesetipp für uns, sondern illustriert seine Ausführungen erst mal akribisch mit Schaubildern, die die aufgeführten Alltäglichkeiten eher wie tödliche Keime in einer Petrischale aussehen lassen – was so ungefähr mit seiner Auffassung von allem, was nicht eindeutig JESUS ist, korrelieren dürfte:

Eine simples Photoshop-Experiment enthüllt erstmals, dass auch ein eigenwilliger Mensch sehr wohl in Harmonie mit Beruf, Freizeit, Nachtruhe, Finanzen usw. sein kann:

06

Na also, geht doch.

Ich überlege noch. Wie funktioniert das denn konkret?

Im Weltraum herrschen im Schnitt so um die minus 270°C. Es gibt dort tote, trostlose Felsbrocken, zig Millionen Grad heiße Sonnen, keinen Sauerstoff und seit ein paar Jahrzehnten einen riesigen Sack voll dunkler Materie. Es ist die lebensfeindlichste, unmenschlichste, furchtbarste Umgebung, die man sich nur irgendwie denken kann, und damit das, was menschlichen Vorstellungen einer Hölle am nächsten kommt.

Mondgold

(Barks/Fuchs: „Der Lockruf des Mondgoldes“, © Disney)

Und dahin sollen wir uns nun schießen lassen, wenn auch nur sinnbildlich. Herr R., solange Sie mir nicht erläutern, wie das „echte Glück“, das Sie dort oben zu finden hoffen, konkret aussieht (und ich erwarte mindestens sowas wie „Dort ist alles voller Mondgold“) und meine Befürchtungen hinsichtlich eines grausamen, einsamen Todes durch Sauerstoffmangel, Erfrieren, Unterdruck oder außerirdische Tentakelmonster nicht zerstreut werden, ziehe ich es vor, auf der Erde zu bleiben, zwar in Sünde, aber dafür mit lebensbejahender Gravitation. Also?

Okay, das klingt zumindest schon mal verheißungsvoll.

Ich gehe mal davon aus, dass die Fleischeslust und überhaupt alles Lust-Bezogene im Himmel eine eher untergeordnete Rolle spielt?

Nach einschlägigen Selbstversuchen sehe ich mich geneigt, diese These in Zweifel zu ziehen, auch wenn Herr R. sie sehr anschaulich präsentiert:

Na immerhin. Normalerweise würde ich mich über die zweidimensionale Sichtweise beschweren, in der es nur Himmel und Hölle und keinen Zwischenstopp gibt (z.B. in Sprockhövel), aber solange eine der beiden Alternativloks „Fleischeslust“ ist, will ich nichts gesagt haben. Wobei der neutestamentarische Triebwagen nicht weniger triebhaft ist:

Das klingt zwar sehr, sehr fleischeslustig, aber nicht unbedingt erstrebenswert. Nicht, dass meine Ansichten dazu noch irgendwas wert wären, wenn JESUS erst einmal so richtig in Fahrt gekommen ist:

Wo wir schon dabei sind, was ist denn eigentlich das Problem an einer gediegenen Fleischeslust?

Herr R., der Durchschnittsdeutsche vertilgt, um nur mal eine beliebige Zahl in den Ring zu werfen, 11,4 kg Schokolade im Jahr. Hunger dürfte dafür weniger ausschlaggebend sein. Und wir reden hier nicht von fixenden Raubmördern im letzten Stadium der Syphillis, sondern von ganz normalen, popeligen Durchschnittsmenschen. Soll ich Ihnen mal erläutern, was deren Einstellung zur Sexualität ist?

Ihnen ist hoffentlich klar, dass Sie die nicht alle gerettet kriegen, nicht mal einen Bruchteil davon. Alles willige Sünder, die zu einem Nachleben als Knechte in Satans Dämonenheer verdammt sind und am Tag des jüngsten Gerichts in eine zahlenmäßig vermutlich ziemlich unausgeglichene Schlacht gegen die himmlischen Heerscharen ziehen werden – Herr R., Ihre Seite ist, mit Verlaub, am Arsch. Noch wäre Zeit, überzulaufen. Einfach zur Abwechslung ein bisschen in der Fußgängerzone den Teufel anbeten, dann passt das schon. Denken Sie mal drüber nach (Zumindest bis nächste Woche, dann gibt’s die Fortsetzung zu diesem Artikel).



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5 Kommentare

1) Marcus

7. Juni 2014, 13:01

“ – Der Name JESUS ist öfter auf dem Titelblatt zu finden als das Wort „Sex“ auf dem Cover eines handelsüblichen Tittenmagazins“

Hast du das nur für uns recherchiert? Respekt. 😀

2) Lukas

8. Juni 2014, 20:00

Für meine Leserschaft gehe ich ans Limit. 😎

3) comicfreak

10. Juni 2014, 16:48

..danke dafür 😉

4) Hühnchen

11. Juni 2014, 10:36

„Hast Du IHM die Tür geöffnet, dann ist er jetzt in Dir, egal, wie Du Dich fühlst“
Ah ja, soviel zum Thema „Fleischeslust“. Also, wenn jemand „in mir“ ist, egal wie ich mich fühle, würde ich ihn wegen Vergewaltigung anzeigen. Aber gegen die Fleischeslust wetter – ja ne, is` klar.

Toller Blog, hab selten soooo gelacht! ;D

5) Tante Jay

11. Juni 2014, 10:39

Wobei…

Das einer sein bestes Stück „Jesus“ nennt ist mir auch noch nicht untergekommen. Läßt aber Raum für Interpretationen.

„Kann über Wasser laufen“ – impliziert eine Menge ziemlich witziger Bilder.

„Kann Wasser in Wein verwandeln“ – impliziert eine Menge weniger witziger Bilder

„Kann Kranke heilen“ – Baby, das behaupten alle.

„Kann von den Toten wiederauferstehen“ – DAS wiederum erklärt dann den Abschnitt mit der fiesen „Fleischeslust“ perfekt. Aber das auferstehen muss er dann noch etwas üben.

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