Ein virtueller Vergnügungspark mit Cartoons, Comics, altem Spielzeug, Genrefilmen und Texten über pixelige Videospiele, und über Verrückte.

Gratis-Comic-Tag 2011: The Good, The Bad & The Durchschnitt (5)

Diesmal:

Nach einer betriebsbedingten Pause kommt hier der nächste Schwung. Mit diesen vier Rezensionen bin ich bei 22 angekommen. Halbzeit!

The Bad: Thor

Donnergott Thor bemerkt, dass das Wetter Amok läuft, Iron Man seinerseits stellt fest, dass ihm eine dubiose Firma Terraforming-Technologie geklaut hat. Die beiden zählen eins und eins zusammen und teilen durch null und kommen auf die völlig naheliegende Idee, mal auf dem Mond vorbeizuschauen. Dort hat sich eine Kolonie von bösen Ultrareichen eingerichtet, um sich den Erdtrabanten zur neuen Heimat zu machen: „Wir, die Ultrareichen, haben es gewagt, in eine bessere Zukunft zu investieren. Zum Teufel mit der Erde! Sie hat uns sowieso gehört! Aber wir wollen sie nicht mehr!“ Schön, dass man bei Marvel ein so differenziertes Bild von Gut und Böse pflegt. Unsere beiden Supermenschen fackeln nicht lange, schlagen die ganze Mondbasis zu Klump und verurteilen die Siedler höchstselbst und standgerichtlich zu lebenslanger Haft in einem Raumschiff auf dem Weg zum Mars. Auf dem letzten Bild posiert Tony Stark mit einer US-Flagge.

Ich verlange nicht, dass jeder Superheldencomic das Genre neu definiert, denn es kann ja nicht nur Watchmen geben. Und ich habe beileibe nichts gegen naive Superheldencomics, aber das hier ist nur doof. Himmelschreiend doof und inhaltlich fragwürdig und zumindest dahingehend unlogisch, dass es auch im Marvel-Universum kaum möglich sein dürfte, unbemerkt vom Rest der Menschheit eine gute Hundertschaft Siedler zum Mond zu schießen, dort eine riesige Kolonie zu errichten und den kompletten Trabanten in Wolken zu hüllen (kein Witz, im Comic fällt das anscheinend nur und ausschließlich Thor auf).

Klar kann man argumentieren, dass die Story knallebunter Quatsch ist, nur unterhalten will und man beim Lesen halt sein Hirn auf Durchzug stellen soll, nur: 1) stelle ich mein Hirn nicht gerne auf Durchzug, 2) werde ich von anderen Superheldencomics ebenfalls unterhalten, aber ohne dass ich das Gefühl habe, dass man sich auf meine Kosten amüsiert und 3) bleibe ich, wenn ich schon knallebunten Quatsch suche, lieber bei den klassischen Silver-Age-Inkarnationen der Marvel-Helden. Die haben wenigstens einen nostalgischen Mehrwert.

The Durchschnitt: Monsieur Jean

Der Berliner Verlag Reprodukt hat sich seit Jahren spezialisiert auf Autobiographisches, auf künstlerisch Hochwertiges und Independentgedöns, im Grunde ist er das druckende Gegenstück zu einem Arthouse-Kino. Monsieur Jean von Philippe Dupuy und Charles Berbérian ist da ein durchaus typischer Repräsentant – die kurzen Geschichten (hauptsächlich Ein- oder Zweiseiter) sind kleine, unspektakuläre Alltagsbeobachtungen in Paris oder mit Parisern oder zumindest von Parisern fabriziert. Stilistisch schwankt das Heft sehr, weil mal der eine, mal der andere der beiden Macher für die Zeichnungen verantwortlich zeichnet. Hübsch anzusehen ist es aber alles.

Leider will der Funke dennoch nicht so recht überspringen, was vielleicht daran liegt, dass längst nicht alle Geschichten mit einer wie auch immer gearteten Pointe enden. Mehr als nur ein Mal fragt man sich nach einer Episode achselzuckend, worauf Dupuy und Berbérian eigentlich hinauswollten, denn die kleinen Erzählungen sind zwar charmant, überschreiten aber immer wieder die Grenze zwischen luftig-leicht und Luft.

The Bad: Hab dich lieb, Suzuki-Kun

Ich würde nicht verallgemeinernd sagen, dass ich Mangas mag. Ich habe einige gelesen, die ich mochte, und einige, mit denen ich nichts anzufangen wusste – wie bei Comcis aus jedem anderen Kulturkreis auch. Es gibt aber eine Szene von Fans, die anstandslos alles schlucken, solange es nur aus Japan kommt (oder von Deutschen gezeichnet wird, die sich japanisch klingende Künstlernamen geben – fragt nicht). In der Regel sind das hibbelige, kichernde Teenagermädchen, die die japanische Kultur zum Maß aller Dinge erhoben haben und wirklich kein einziges anderes Thema kennen, was aber auch nicht weiter schlimm ist, weil sie sich ohnehin nicht für soziale Beziehungen außerhalb von ihresgleichen interessieren. Sie sind das exakte weibliche Pendant zum verunsicherten Pickelnerd mit Hygieneproblem. Und während sich letzterer beim Gratis-Comic-Tag vermutlich Thor eingesteckt und damit das Heft bekommen hat, das er verdient, wendet sich der Egmont-Verlag mit Hab dich lieb, Suzuki-Kun an die kleinen Mädchen, die davon träumen, sich zu Asiatinnen umoperieren zu lassen. So, das musste mal raus. Gehen wir in medias res.

Die Story ist Mädchen-Manga-Kram von der Stange: Das neue Schuljahr beginnt, und mit ihm das Hormon-Hin-und-her zwischen dem dreizehnjährigen Hikaru und seinen gleichaltrigen Mitschülerinnen Chihiro und Sayaka. Die eine ist schüchtern, die andere Hikarus Sandkastenkumpel, und das ganze läuft natürlich darauf hinaus, mit welcher der beiden er was anfangen wird. Auf dem Weg dahin, auch das ist durch das Genre vorgegeben, wird es zahlreiche alberne Episödchen und peinliche Hi-hi-Momente geben, das alles mit der Gravitas eines Justin-Bieber-Fanmagazins.

Hab dich lieb, Suzuki-kun ist unerträglich, sofern man nicht zur eingangs beschriebenen, eng umrissenen Zielgruppe gehört, die ohnehin unempfänglich für Kritik ist. Das Heft ist aufgrund der hysterischen Erzählweise und des unübersichtlichen Seitenlayouts nahezu unlesbar, die Bilder sind zugekitscht mit viel lautmalerischem Herzklopfen („Dodom! Dodom!“), Blümchenornamenten, Schmetterlingen und Lens-Flare-Effekten in jedem zweiten Panel. Am schlimmsten ist jedoch, wie nichtssagend flach die Figuren sind – Autorin Go Ikeyamada selbst umreißt sie in der Einleitung mit nur wenigen Worten (über Hauptfigur Hikaru: „Zu Beginn ist er 1,47m groß , aber er wächst mit der Serie und soll 1,80m groß werden!“), und man hat nach der Lektüre nicht den Eindruck, als hätte sie da irgendetwas verkürzt. Dieses Heft ist oberflächlich und seelenlos, und die Aussicht, dass sich die komplette Geschichte auf mehrere Bände á 200 Seiten erstreckt, ist nichts als verstörend.

The Good:

Der schlaue Rocket und seine Holzhofsoldaten

Mir war nicht bewusst, dass es neben dem Mosaik-Verlag noch ein weiteres Haus gibt, das sich auf Ossi-Comics spezialisiert hat. Während aber den Abenteuern der Mosaik-Abrafaxe eine unangenehme Ostalgie-Pestwolke anhaftet, ist das Programm des Holzhof-Verlags spürbar reflektierter und ambitionierter:

20 Jahre blühende Landschaften von Pteroman ist eine Mischung aus einer platten Polit-Satire und einer albernen, derben Parodie auf den Zauberer von Oz. Gezeichnet in einem knalligen Funny-Stil und brüllend komisch.

Die Virtonauten von Remory von Hagen Flemming ist der Schwachpunkt dieser Kompilation. Uninspirierte Zeichnungen korrespondieren mit einer unverständlichen Handlung und viel Techno-Gebabbel. Anscheinend geht es um ein paar Zeitreisende aus der Zukunft, die Abenteuer in allerlei Epochen erleben und dabei an Ereignissen der Weltgeschichte teilnehmen. Altbacken, belehrend, spießig.

Der Zauberlehrling von Willy Moese dagegen ist der spannendste Teil des Heftes. Der Holzhof-Verlag hat es sich zur Aufgabe gemacht, die keinesfalls nur ideologiebelastete Comicgeschichte der DDR aufzuarbeiten und Reihen neu aufzulegen, die ansonsten wahrscheinlich in Vergessenheit geraten würden. Das ist nicht nur aus historischer Perspektive ein lobenswertes Unternehmen, sondern im Fall von Der Zauberlehrling (erstveröffentlicht in den 60er Jahren) auch ein ausgesprochen erfreuliches. Die aus je vier Bildern bestehenden Zeitungsstrips kommen ohne Text aus. Für sich genommen sind sie kaum mehr als nett, in der Masse allerdings – allein in diesem Heft sind mehr als 70 abgedruckt – sind sie ein echtes Kunstwerk, weil man darüber staunen kann, wie Moese immer wieder neue Varianten der immer gleichen Situation findet und dabei teils sehr originell um die Ecke denkt.

Dave Grigger von Mamei und Kircheis ist, das Namens-Wortspiel deutet es an, ein morbider Friedhofscomic, und das ist auch alles, was ich verstanden habe. Ich habe die sechs Seiten drei mal gelesen, habe aber keine Ahnung, was zum Teufel da passiert. Sehr, sehr surreal, in sich durchaus stimmig und ansprechend kritzelig gezeichnet.

Der Puppenkasper von Seliger und Wüstefeld ist, dem Zonen-Verlagsort zum Trotz, in breitem Bayrisch gehalten. Das Stück spielt Mitte des 18. Jahrhunderts und zeigt, wie ein Schausteller und sein einziger Zuschauer einem Typen helfen, der von drei anderen Typen auf einem Markt bedroht wird. Mir ist leider nicht ganz klar, ob sich das an eine historischen Begebenheit anlehnt, oder was die beiden Macher sonst damit im Sinn hatten. Ohne den Kontext der anderen Teile, die es dazu wohl noch gibt, ist da nicht viel mit anzufangen, aber immerhin sind die neun Seiten kurzweilig, toll gezeichnet und mit einer schicken Schwarz-weiß-rot-Kolorierung versehen.

Schweinevogel und seine Freunde von Schwarfel: Ein Einseiter. Irgendwie ist mir das sympathisch. Auch wenn ich nicht weiß, wer diese Viecher sind, oder worüber die Reden, oder was eigentlich die Pointe ist.




9 Kommentare

1) DMJ

5. Juni 2011, 13:31

Entschiedener Protest gegen das Holzhof-Review! Völlig richtig hast du über die einzelnen Beiträge (die von unselbstständig und daher sinnlos, wie „Dave Grigger“ bis zu platt, wenn auch mit einem einzigen guten Running Gag, wie „Landschaften“ reichen) kaum etwas positives zu sagen gehabt (wobei „Der Zauberlehrling“ für das, was er war, ja tatsächlich ganz nett war), dennoch spendest du Soli-Wohlwollen. Mir wurde nur wieder klar, was für schlimme Dinge das DDR-Regime seinen Bürgern angetan haben muss, dass sie derartiges produzieren und mögen.

2) Lukas

6. Juni 2011, 14:39

Nix Soli-Wohlwollen! Die Virtonauten sind ein Schwachpunkt und des Puppenkaspers Problem ist, dass die Geschichte in der Tat in der Luft hängt, aber die blühenden Landschaften und der Zauberlehrling waren sehr positive Überraschungen. Dave Grigger seinerseits ist zwar Teil eines größeren Ganzen, aber auch als Fragment ausreichend faszinierend. Wenn es allerdings den Anschein hat, als würde ich in meiner Besprechung nicht genug Positives erwähnen, dann liegt der Fehler unter Umständen bei mir, nicht aber beim Comic.

3) DMJ

8. Juni 2011, 11:05

Hier schon – ich habe das Holzhof-Dingens ja selbst gelesen.
Und die Plattsatire der blühenden Landschaften machte die an sich funktionierende „Normal-Komik“ einfach zu kaputt und der „Dave Grigger“-Fetzen war auch nicht faszinierender oder selbstständiger, als etwa der schlecht gewählte „Hellboy“-Ausschnitt vom Vorjahr. Und so toll, dass er die ganze Nummer tragen konnte, war der „Zauberlehrling“ auch nicht.

4) Peroy

8. Juni 2011, 20:31

Hört auf euch zu zanken… spuckt euch lieber ins Gesicht.

5) Gregor

19. Juni 2011, 18:47

„it diesen vier Rezensionen bin ich bei 22 angekommen. Halbzeit!“

Wann geht’s denn mal weiter, drängel?

6) Peroy

19. Juni 2011, 21:34

Vermutlich niemals… wenn es stimmt, was man so hört…

7) Lukas

26. Juni 2011, 14:00

@Gregor: Es geht weiter, sobald ich Gelegenheit hab, mich wieder dranzusetzen. Momentan ist mein Zeitplan leider sehr eng. 🙁

8) TFO

27. Juni 2011, 18:25

Ich dachte wenn du „knallebunten Quatsch“ suchst, guckst du „My little Pony“?!

9) Peroy

1. Juli 2011, 23:56

Van Looping Lukas, ich bin dafür, dass sie ihre Netzpräsenz in „Lukasland“ umbenennen, weil Alliterationen von großer geistiger Reife und echt Elchmäßiger Potenz zeugen. Außerdem passt es zur Farbe ihrer Frisur.

mfg

– Franz Kafka

Kommentieren