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Gratis-Comic-Tag 2011: The Good, The Bad & The Durchschnitt (4)

The Durchschnitt: Die Legende der Drachenritter

Ange und Varanda erfinden den Drachenmythos neu: Wenn sich ein Drache irgendwo niederlässt, verzerrt seine Aura die Realität und sorgt dafür, dass sich die in seiner Umgebung lebenden Menschen nach und nach in mordgierige Monstrositäten verwandeln. Nur Jungfrauen können sich gefahrlos nähern, weil die Schuppenviecher diese nicht wittern. Logisch also, dass es einen Ritterorden gibt, der ausschließlich aus unberührten Drachenkillerfrauen besteht.

Dieser Hintergrund ist nach einer Seite etabliert, und trotzdem braucht der Comic mehr als die Hälfte seiner Seitenzahl, um in die Gänge zu kommen. Bis sich mal ein zünftiger Drachentöterinnen-Plot entwickelt, sehen wir unseren Heldinnen (einem mies gelaunten Xena-Verschnitt und ihrer Knappin) beim blutigen Zersplattern diverser Zufallsbegegnungen zu. Szenarist Ange ist dabei bemüht, alles voll total grimmig wirken zu lassen, was aber gekonnt torpediert wird durch Alberto Varandas‘ lebendige Zeichnungen und eine überaus farbenprächtige Kolorierung. Es ist wirklich schön anzusehen, wie die beiden Mädels schweigend und metzelnd durch die Natur latschen, aber da ist bald der Punkt erreicht, an dem das nicht mehr atmosphärisch wirkt, sondern einfach zu schnarchigem Leerlauf wird. Die zweite Hälfte ist besser und steigert sich zu einem nicht ganz logischen, aber konsequenten, unglaublichen Was-zum-Teufel-bin-ich-lesend-Ende. Nur ist es bis dahin halt ein langer Weg.

The Bad: Ungebremster Spaß vom BSE Verlag

Der BSE-Verlag bietet ein Programm, das sich an dem orientiert, was dem Klischee nach Männer begeistert. In dieser Zusammenstellung aus anderthalb Dutzend Alben finden sich jedenfalls unter anderem:

  • Comics für Motorradfahrer
  • Hägar
  • Chauvinistische Sex-Cartoons
  • Fußballhumor
  • Mehr Hägar
  • Büro-Humor für Banker und Juristen

Nichts gegen Hägar an sich (der kann hin und wieder mal ganz nett sein), aber ich möchte nach Möglichkeit nie jemanden treffen, den die oben genannten Beispiele in dieser Kombination ansprechen – wir würden keine Freunde werden.

Positive Ausnahmen:

  • Eine Seite aus Sheltons Freak Brothers
  • Eine Seite aus dem deutschen Klassiker Mein progressiver Alltag

…das hält sich nicht so wirklich in der Waage.

The Durchschnitt: Polly & die Piraten

Die brave Polly lebt in einem Internat vor sich hin, zusammen mit ihrer draufgängerischeren, nach Abenteuerromanen verrückten Freundin Stasia und vielen anderen Mädchen. Wir erleben ein wenig Zickengetue zwischen den ca. Zwölfjährigen, bis dann nach der Hälfte der Geschichte Polly mitsamt ihrem Bett von Piraten entführt wird – Pollys verstorbene Mutter war nämlich eine gefürchtete Piratenkönigin. Und hier cliffhangered das Heft dann, bedauerlicherweise bevor die richtige Piratenaction losgeht.

Polly & die Piraten ist was für die etwas Jüngeren. Schön erzählt, mit sympathischen Figuren und hübsch übersetzt (der Piratenslang wurde in der deutschen Version zu norddeutschem Platt). Ob die ganze Geschichte was taugt, ist nichtsdestotrotz nach zwei Dutzend Seiten schwer zu beurteilen, und ohne den Kontext der kompletten Geschichte ist dieser Gratis-Ausschnitt nett, aber nicht mehr.

Ted Naifeh, Texter und Zeichner von Polly & die Piraten ist auch der Schöpfer von Courtney Crumrin, und hier wie dort habe ich das Problem, dass mir die Zeichnungen zu detailarm und die Seitenlayouts zu gleichförmig sind.

The Good: Die Toten

Ich bin mit Zombies schon lange durch – das Konzept ist nicht nur so ausgelutscht, dass kaum ein Film es schafft, dem Mythos irgendetwas Neues hinzuzufügen, es hat auch eine Fanbase, die deprimierend simpel zufriedenzustellen ist. Gebt ihnen ein paar hirngierige Kaufhausschwanker, eine kleine Gruppe von Überlebenden, ein paar Eimer Kunstblut und fertig ist der nächste Videothekenhit. Entsprechend niedrig waren meine Erwartungen an ein zudem noch deutsches Heft (wer deutsche Zombiefilme kennt, der ahnt, mit welchen Abgründen ich da gerechnet habe).

Die Prämisse des Projekts Die Toten aber ist interessant: Verschiedene Autoren und Zeichner arbeiten an Geschichten, deren einzige Gemeinsamkeit das Szenario ist: Deutschland nach dem Zombie-Befall.

Die vorliegende, abgeschlossene Geschichte spielt fünf Monate nach der Katastrophe an einer Schule in Hanau, in der eine Siebzehnjährige die einzige Überlebende ist. Nina lebt ihren Schulalltag weiter, unabhängig davon, dass ihre Mitschüler/innen nebst dem Kollegium entweder tot oder untot sind. Sie bekommt davon nicht mehr viel mit, denn in ihrem durchgeknipsten Geist verschwimmen Gegenwart und Vergangenheit – und nach und nach erfahren wir, dass ihr schon Schlimmeres als die Zombiekalypse widerfahren ist.

Die Toten ist ein Hingucker und Durchleser: Filmische Erzähltechniken, geschickt montierte Zeitebenen, eine für einen Zombie-Schmonzette ungewöhnliche Story, glasklare Zeichnungen, schicke Perspektiven und eine stimmungsvolle Schwarz-weiß-Optik. Das macht richtig Laune.

Da Zeichner und Autoren wie gesagt von Geschichte zu Geschichte wechseln, lege ich für die Serie in ihrer Gesamtheit nicht meine Hand ins Feuer, aber wenn die bislang drei erschienen Bände halten, was dieses Heft verspricht, dann haben wir einen klaren Hit.




Ein Kommentar

1) DMJ

24. Mai 2011, 10:22

„Die Toten“ hat mich auch angefixt, so dass ich (trotz ja wechselnder Künstler) auch noch mehr lesen will. Das war wirklich großartig!

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