Ein virtueller Vergnügungspark mit Cartoons, Comics, altem Spielzeug, Genrefilmen und Texten über pixelige Videospiele, und über Verrückte.

Gratis-Comic-Tag 2011: The Good, The Bad & The Durchschnitt (1)

Ich habe vor ein paar Wochen schon mal geschrieben, dass es mir momentan an Zeit mangelt, um irgendein größeres Projekt fertigzustellen, und daran hat sich nichts geändert. Die zweite Captain-Testosteron-Seite liegt halb koloriert auf meiner Festplatte, genauso wie ein noch unvollständiges Schräge-Vögel-Video. In halbwegs absehbarer Zeit dürfte zumindest das staatlich geförderte, von Andreas Eisele gedrehte Video im Netz landen, dessen Skript von Dirk und mir stammt. Er und ich haben die Preview-Version bereits gesehen und sind ausgesprochen begeistert.

Kommen wir zu einer etwas kurzfristiger umsetzbaren Angelegenheit: Am vergangenen Samstag beging die Nation den zweiten deutschen Gratis-Comic-Tag. Bei dieser in allerlei Comicläden zelebrierten Festivität verschenken Verlage speziell zu diesem Anlass gedruckte Hefte mit Leseproben und teils exklusivem Material, die nach Möglichkeit neue Leser für das jeweilige Verlagsprogramm erschließen sollen. Das ist eine schöne Sache, und nachdem der Testballon im letzten Jahr anscheinend überaus erfolgreich aufstieg, gab es dieses Jahr die Auswahl aus insgesamt 44 verschiedenen Heften. Je nach Händler konnte man sich aus diesem Sammelsurium ein bis fünf Titel auswählen, aber ein glücklicher Zufall Geld sorgte dafür, dass vor mir nun eine große Tüte mit sämtlichen Veröffentlichungen liegt. Natürlich würde ich den Stapel gerne über einen entspannten Nachmittag hinweg durcharbeiten, aber da ich letzteren nicht habe, brauche ich für ein solches Unterfangen einen Grund, der meinem Gewissen sagt, es möge sich bitte hinsetzen und die Klappe halten. Also bespreche ich das Zeug, jedes einzelne Heft.

Viel zu tun.

Das ist nicht so sinnlos, wie es auf den ersten Blick (denn der Gratis-Comic-Tag ist nun mal vorbei und die Hefte vergriffen) erscheint, da 1) die Hefte repräsentativ für die einzelnen Serien sein sollen, die es ja auch regulär zu kaufen gibt und 2) in den nächsten Tagen und Wochen zig Ebay-Auktionen in die Welt gesetzt werden dürften, in denen einzelne Hefte oder ganze Pakete unter den Hammer gehen.

Natürlich könnte man einwerfen, dass die Hefte gratis sind (zumindest war’s ja ursprünglich so gedacht) und dass es deswegen unangemessen wäre, daran herumzukritteln, aber das hieße zu ignorieren, dass sich unter den 44 Kandidaten zwar einige Hits, aber eben auch viele Schrott-Titel befinden – und die gehören abgestraft, gratis hin oder her. Natürlich gehören ebenso die Meisterwerke gelobpreist, aber ich sehe schon kommen, dass die Verrisse die längeren Texte werden.

Na denn. Die Reihenfolge ist die, in der mir die Hefte in die Hand fallen, die Kritik so hämisch, wie ich es für richtig halte, und beurteilt habe ich den ganzen Schlonz nach einem überaus komplexen System, wie ja auch der Titel bereits ankündigt: The Good. The Bad. The Durchschnitt. Los geht’s:

The Bad: Kids

Kids von Autor und Zeichner Mike van Audenhove ist eine einzige Furchbarkeit, deren singulärer Witz darin besteht, dass kleine Kinder manchmal altklug sind und viel schreien und Erwachsene darunter leiden. Alltagsszenen zeigen das Alltagsleben verschiedener alltäglicher Eltern und Kinder, jeweils abgeschlossen auf einer Seite. Die deprimierend unlustigen Episoden sind darüber hinaus in ihrer visuellen Umsetzung teils so uneindeutig, dass man zweimal hinsehen muss, um überhaupt nachvollziehen zu können, was denn nun der Gag gewesen sein soll, teils ist die visuelle Ebene eigentlich überflüssig – es sind altbackene Witze mit Bildern.

Symptomatisch für das ganze Elend aber ist eine Episode, in der sich eine Familie am Mittagstisch darüber beschwert, dass es immer nur Nudeln gibt. Die Mutter schreit ihren Mann und ihre sechs Kinder deswegen an und verweist sie darauf, dass sie kein Geld für etwas anderes haben. Irgendeine Übersteigerung, satirischer Spott oder Ironie ist nicht auszumachen – offenbar findet van Audenhove Armut an sich einfach amüsant. Oder er ist krampfhaft darum bemüht, bloß nirgendwo anzuecken und niemandem weh zu tun und verzichtet deshalb sicherheitshalber auf Humor, und da wäre mir die erste Erklärung noch lieber.

 

Douglas Adams hat mal über die vogonische Dichtkunst geschrieben, dass man sich beim Zuhören wünscht, man sei tot, oder, wenn man etwas cleverer ist, der dichtende Vogone wäre tot. Das erübrigt sich hier, denn Mike van Audenhove verstarb 2009 an Herzversagen, wie uns die Rückseite des Heftumschlags mitteilt. Das ist kein Verlust für die Welt, und nach der frustrierenden Lektüre von 28 Seiten Kids ist mir auch vollkommen egal, ob sich jetzt irgendwer an einer solchen Aussage stößt.

The Good: Der Tod und das Mädchen

Nach diesem Ausfall-Einstand kommt jetzt etwas überaus Erfreuliches: Die ursprünglich als Webcomic veröffentlichte Geschichte Der Tod und das Mädchen von Nina Ruzicka verpackt den klassischen Titel-Topos in eine schwarze Screwball-Komödie, in der ein zynischer Gevatter Tod eine widerspenstige junge Frau einkassieren will – die aber nur sterben wird, wenn sie ihm ins Gesicht sieht und ihm einen Namen gibt.

Die Zeichnungen sind eher zweckmäßig als spektakulär, aber mehr braucht es auch nicht für die hochgradig unterhaltsame Story. Die Figuren sind sympathisch, die Dialoge schlagfertig und intelligent und die Gags ausnahmslos perfekt getimed. Ruzicka gibt dem per se ja eher diffusen Tod durch ein präzises Regelwerk Kontur, wodurch das Szenario die nötige Bodenhaftung bekommt. Der Geschichte merkt man ihre ursprünglich scheibchenhafte Webcomic-Publikation an, in jeder Hinsicht: einerseits ist die Gagdichte grandios hoch, andererseits plätschert die Story so vor sich hin, ohne dass der Band auf irgendein bestimmtes Ziel hinausläuft, aber das ist nicht weiter tragisch, denn, und hier wiederhole ich mich gerne, das alles ist hochgradig unterhaltsam – und netterweise auch komplett online lesbar.

Hintendran kleben noch ein paar Seiten einer uninteressanten Webcomic-Serie namens Utan & Artik (mit der Ruzicka nichts zu tun hat), aber die kann man ja auch überblättern.

 

The Durchschnitt: Die Müllers

Der Franzose Seron hat nicht nur den Klassiker Die Minimenschen geschaffen, sondern auch so einiges weniger Spektakuläres, das im deutschsprachigen Raum mehrheitlich unter dem Radar blieb. Eine Ausnahme ist der erste Band der Müllers, einer Sammlung kurzer (eine bis maximal vier Seiten) Geschichten um einen Familienvater, seine Frau und deren zwei Kinder.

Während die Zeichnungen einwandfrei sind, sind die Figuren entweder Klischees (Der Vater ist ein passionierter Heimwerker) oder Leerstellen (mir fällt rein gar nichts ein, was ich über die drei anderen Familienmitglieder schreiben könnte), die Gags sind über Seiten hinweg vorhersehbar und ringen einem über genauso weite Strecken nicht mehr als ein wohlwollendes Achselzucken ab. Ein paar der Strips sind ordentlich, die wenigsten wirklich gelungen. Wen wundert’s: Im Original wurde die Serie ursprünglich in Pif Gadget veröffentlicht, dem französischen Equivalent zum Yps-Heft, und da waren die Comics auch immer nur Alibi, während der beigepackte Plastik-Tinnef im Mittelpunkt stand. Blöderweise aber wurde der erste Band der Müllers 1992 bei seiner Erstveröffentlichung in Deutschland als Softcover-Album publiziert und richtete sich damit zweifelsfrei an erwachsene Leser. Konsequenterweise floppte diese erste Version, und das ist das eigentlich Interessanteste an diesem ansonsten weitgehend belanglosen, mit der Version von 1992 inhaltsgleichen Heftchen: Herausgeber ist der Verlags-Verein Finix (Phonetische Verwandschaften zu den Wörtern „Finis“, „nix“ und „Phönix“ dürften beabsichtigt sein), der es sich zum Ziel gesetzt hat, in Deutschland aufgegebene Reihen weiterzuführen und zu komplettieren. Der zweite, abschließende Müller-Band erscheint noch in diesem Monat – das wird zwar am Lauf der Welt wenig rütteln, aber das Prinzip ist ein überaus Lobenswertes.

 

The Good: Donald Duck

Ein Zehnseiter von Carl Barks, ein Elfseiter von Don Rosa (und ein einseitiger Platzfüller von Daniel Branca, na ja). Angesichts dieser beiden Titanen des Duck-Universums wäre nur noch zu ergänzen, dass man sich bei Ehapa Gedanken gemacht hat und zum Gratis-Comic-Tag nicht nur passenderweise einen Barks-Bericht ausgewählt hat, der von Comichelden handelt (Der Supermensch), sondern auch noch die über vierzig Jahre später entstandene Rosa-Fortsetzung (Der Supermensch kehrt zurück) dazu gepackt hat. Außerdem gibt es vier Seiten, die über den kleinen Herrn Duck und die beiden Zeichner informieren und ein zur Story passendes Rosa-Cover. Eine durch und durch würdige Veröffentlichung, und selbst wenn man die beiden Erzählungen schon sein eigen nennt in dieser Zusammenstellung eine Zierde für jedes Regal.

 

The Bad: Tales of Comic Culture

Der Comic-Culture-Verlag schickt ein Crossover aller (?) seiner Serien ins Rennen, gezeichnet von den jeweiligen Machern:

In der Rahmenhandlung will ein kleiner, fetter Hilfsdämon zum Vollwert-Dämon aufsteigen und braucht dazu die Hilfe eines dimensionsreisenden Engel-Wesens (oder so), um zusammen mit ihr vier Artefakte zu sammeln. Warum? Because the plot says so. Auch innerhalb der einzelnen Artefakt-sammel-Episoden ergibt die Geschichte keinen Sinn. Der kleine Dicke kann sich in einer der Welten plötzlich in ein riesiges Monstervieh verwandeln, einfach so („In dieser Welt spüre ich meine dämonischen Kräfte wie nie zuvor!“). In einer anderen wohnen wir einem seltsamen Dialog bei zwischen einer Vampirfrau und einem Phantom-der-Oper-Verschnitt, die sich über Luftschiffe oder so unterhalten, ohne dass wir je erfahren, was das soll. Ist für die Kenner der Materie sicher voller Anspielungen, aber blöderweise hab ich keine Ahnung von der Serie oder den Figuren, denn Sinn und Zweck dieses Heftchens ist es ja, mich damit erst mal bekannt zu machen. Blöd, nicht? Weiter geht’s in einem hibbeligen Manga-Szenario mit Magie und Zaubertierchen und all dem üblichen Schnickschnack („Wir brauchen das Artefakt, um den Ort der Wünsche zu finden, damit wir den Krieg beenden können.“ Keine Ahnung, wovon die da reden.). Das Artefakt ist dann, wie die Magie-Typen auf einmal wissen, eine „Fälschung“, für den Dicken aber irgendwie nicht. Oh. Okay. Am Ende verwandeln die Artefakte ihn nicht vom Hilfs-Dämon zum Oberdämon, sondern vom Hilfs-Dämon zum Hilfs-Engel – womit er genau da angekommen ist, wo er sowieso schon war und ich mir die Lektüre hätte sparen können.

Das komplette Comic-Culture-Programm ist, nimmt man diesen Band als Maßstab, in jeder Hinsicht stumpf. Der Plot ist Schwachsinn (Woher weiß der kleine Dicke, wo er die Artefakte finden wird? Nach welchen Regeln funktioniert das Universum, in dem die Geschichte spielt?), die erzählerische Umsetzung ist eine Katastrophe (Ständig wird in Dialogen Backstory behauptet, die aber nie visualisiert wird, unsere beiden Helden wissen von dieser merkwürdigen Fälschungs-Nummer, obwohl sie in der Szene überhaupt nicht anwesend waren), die Zeichnungen sind mehrheitlich amateurhaft (Die Rahmenhandlung sieht aus wie von einem Vierzehnjährigen gezeichnet, die erste der beiden farbigen Episoden überspielt immerhin durch eine gute Kolorierung das mangelhafte Raumgefühl des Zeichners, die Manga-Episode ist so unübersichtlich, dass man im ersten Moment nicht mal schnallt, wer da redet und wie viele Figuren da überhaupt rumlaufen). Nee, das war mal so gar nix.

Schluss für heute, morgen gibt’s den nächsten Schwung.




7 Kommentare

1) Peroy

20. Mai 2011, 12:23

Filme beim FFF werden in drei Sätzen abgehandelt, aber über so’n Kinderkram schreibst du Romane…

2) Gregor

20. Mai 2011, 13:09

Ach, der Audenhove. Der war/ist in der Schweiz dank „Zürich by Mike“ eine Art Nationalheiliger. Die Zürich-Anspielungen waren auch das einzige daran, was irgendwie interessant war.

Die allgemeine Begeisterung für „Der Tod und das Mädchen“ werd ich nie verstehen.

3) DMJ

20. Mai 2011, 14:26

Gregors letzter Satz spricht enorm gegen ihn, da „Der Tod und das Mädchen“ tatsächlich so famos ist, dass ich mir den Band (obwohl ich das Werk komplett online gelesen habe) auch am GCT mitgenommen habe. Immer wieder schön!
„Kids“ habe ich liegen gelassen, aber beim Reinblättern hatte ich genau den Eindruck, der oben auch geschildert wird, habe es also richtig gemacht.
„Tales of the Comic Culture“ war mir hingegen irgenwie sympathisch. Ich leugne keinen der genannten Mängel (wobei ich mit dem Zeichenstil meist recht zufrieden war) und tatsächlich sind die Geschichten furchtbar unselbstständig, aber irgendwie war mir das Konzept ganz sympathisch.
…Nun gut, was vielleicht daran liegen kann, dass ich selbst mal an so einem Stück zeichnerischer Selbstbefriedigung beteiligt war ( http://www.buddelfisch.de/bccomics/iadm/ ).

4) Lukas

21. Mai 2011, 00:03

@Peroy: Beim Fantasyfilmfest sitze ich um die zwölf Stunden am Tag im Kino – mehr als ein paar Sätze sind da nicht drin. Um hingegen ein Gratis-Comic-Tag-Heft zu lesen, brauche ich, je nach Umfang und Schriftmenge, zwischen fünf Minuten und (selten) einer Dreiviertelstunde. Do the math.

5) Peroy

21. Mai 2011, 14:07

„Gregors letzter Satz spricht enorm gegen ihn, da “Der Tod und das Mädchen” tatsächlich so famos ist, dass ich mir den Band (obwohl ich das Werk komplett online gelesen habe) auch am GCT mitgenommen habe. Immer wieder schön!“

„Obwohl ich den Kram schon umsonst im Netz gelesen habe, habe ich auch ein Gratis-Exemplar mitgehen lassen. Ich bin so geil. 8)“

6) Peroy

21. Mai 2011, 14:09

„@Peroy: Beim Fantasyfilmfest sitze ich um die zwölf Stunden am Tag im Kino – mehr als ein paar Sätze sind da nicht drin. Um hingegen ein Gratis-Comic-Tag-Heft zu lesen, brauche ich, je nach Umfang und Schriftmenge, zwischen fünf Minuten und (selten) einer Dreiviertelstunde. Do the math.“

Du gibst dir nur nicht genug Mühe… püh…

7) Peroy

21. Mai 2011, 16:31

Nicht nur „Kids“ scheint schrecklich zu sein…

http://www.zuerichbymike.ch/fertig_5/05007g.jpg

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